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120 Österreichisches Küstenland
kerung darstellten. In der priesterlichen Meinung, dass die »Italiener« ihn
angegriffen hätten, wurden die »Italiener« in der Tat nicht national, sondern
politisch gemeint. Don Vascon meinte mit dieser Zuschreibung die antikle-
rikale, italienischsprachige Partei.149
Dass die »Italiener« mit Antiklerikalismus identifiziert wurden, ermög-
lichte gleichzeitig der italienischen Elite die Verwendung des Vokabulars der
»Nationalitätenkonflikte«, auch in Bezug auf den eigentlich nationsunabhän-
gigen Gegensatz zwischen Klerikalismus und Antiklerikalismus. Einerseits
wollte diese Elite die katholische Kirche durch die »Nationalitätenkonflikte«
polarisieren und schwächen (antiklerikales Ziel). Die italienischsprachigen
Liberalen konnten somit das Feindbild »katholische Kirche« mit antislawi-
schen Affekten aufladen.150 Andererseits wollte diese Elite die italienisch-
sprachige Öffentlichkeit vollkommen beherrschen und aus ihr alle alterna-
tiven Diskurse (etwa den italienischsprachigen Klerikalismus) ausschließen
(hegemoniales Ziel). Indem die antiklerikalen Kreise eine »südslawische«
Dominanz des kirchlichen Raumes suggerierten, versuchten sie, die italie-
nischsprachige Bevölkerung von der Kirche zu entfremden. Solange das all-
gemeine Männerwahlrecht in Österreich nicht eingeführt wurde (1907), half
das restriktive Wahlrecht den national-liberalen Kreisen, ihre Macht über den
politischen Raum des Österreichischen Küstenlandes aufrechtzuerhalten.
Es gab viele südslawische (oder böhmische, mährische) Priester in Istrien,
die die politisch und sozial bedingten Konflikte mit der italienischsprachi-
gen, städtischen Elite nationalisierten. Die Worte und Taten etwa von Don
Ptašinki (in San Giovanni di Sterna / Sv. Ivan od Šterne), Don Ragusin (in
Grisignana / Grožnjan), Don Vranjac (in Sdregna / Zrenj) oder mehreren kro-
atischsprachigen Priestern auf der Insel Lussin / Lošinj spitzten den Konflikt
zwischen »italienischer« »Stadt« und »südslawischem« »Land« zu. Die Ein-
führung muttersprachlicher Predigten auf den ländlichen Gebieten lässt sich
als Beitrag zur sozialen Emanzipation der dortigen Bevölkerung verstehen
und als solche rechtfertigen. Wenn sich Protest dagegen erhob, zeigte sich die
Angst der herrschenden, italienischsprachigen Elite, ihre Macht über sozi-
ale Ressourcen bzw. die Deutungshoheit über den kirchlichen Raum verlie-
ren zu können. Als die (süd)slawischen Priester alle »Italiener« beleidigten
oder ihnen muttersprachliche Predigten, Taufen, Begräbnisse oder Religi-
onsunterrichtsstunden verweigerten, agierten sie selbst als nationalistische
149 Bericht des Pfarrers Don Pietro Vascon (8.
August 1907), in: DAP, Kapetanat Poreč,
Op.Sp., kut. 115, fasc. I/1, 13544 – 07 – I/1.
150 Ernst Bruckmüller, Österreich – eine »katholische« Nation?, in: Altermatt /
Metzer (Hg.), Religion und Nation, S. 69–93, hier S. 86.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303