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138 Österreichisches Küstenland
altslawische Liturgiesprache und den Übertritt in die griechisch-katholische
Kirche, in der auch die volkssprachlichen Gottesdienste erlaubt waren. Er lud
im September 1901 den griechisch-katholischen Bischof Julij Drohobeczky
nach Ricmanje ein, obwohl dem Bischof bereits vor einem Jahr die Über-
nahme der Dorfgemeinschaft verboten worden war. Die bischöfliche Vakanz
schien für Don Požar eine Zeit zu sein, in der er sich über frühere kirchliche
Vorschriften, etwa bezüglich der Liturgiesprache, hinwegsetzen konnte.
Bischof Drohobeczky traf am 14. September 1901 im Dorf ein und ging
sofort zu Don Požar. Als seine Ankunft im Dorf bekannt wurde, versam-
melte sich eine kleine Menge, um ihn mit kroatischen »Živio!«-Rufen (»Es
lebe!«) zu begrüßen.215 In Ricmanje wurden ein Denkblatt mit einem slowe-
nischsprachigen Gedicht sowie ein Bild vom Bischof mit seinem kurzen, slo-
wenischsprachigen Lebenslauf unter den anwesenden Menschen verteilt. Am
15. September 1901 um 10 Uhr und um 16 Uhr zelebrierten Bischof Droho-
beczky und Don Požar kroatischsprachige Gottesdienste in der Kirche von
Ricmanje. Auch aus den Nachbardörfern kamen viele Menschen zu den Mes-
sen. 200 slowenischsprachige Katholiken reisten sogar aus Roiano / Rojan,
einem Vorort von Triest, an,216 wo sich die slowenischsprachige Gemeinde
seit Langem wegen der Sprache der Predigten im offenen Streit mit dem itali-
enischsprachigen Pfarrer, Don Iurizza, befand.217 Die slowenischsprachigen
Katholiken drohten dort ebenso mit dem Übertritt in die griechisch-katho-
lische Kirche, weil sie die italienischsprachigen Predigten und Gesänge in
ihrer Kirche ablehnten.218
Der bischöfliche Besuch blieb nicht folgenlos. Im Winter 1901 / 1902 mel-
deten mehrere Menschen ihre Austritte aus der römisch-katholischen Kirche
an. Diesmal nicht nur in Ricmanje, sondern auch in einer anderen Gemeinde
aus der Pfarrei von Dolina, dem ebenso ausschließlich slowenischsprachig
bewohnten Boljunec. Die Bezirkshauptmannschaft von Capodistria / Koper
befragte einige Menschen bezüglich ihrer Austrittsgründe. Ihnen ging es
darum, endlich eine eigene Pfarrei zu haben und an den Pfarrer von Dolina
keine Beiträge mehr zahlen zu müssen. Sonst betonten fast alle, dass sie sich
katholisch fühlten und zwischen den verschiedenen Riten des Katholizismus
215 Bericht des Landes-Gendarmarie-Commandos von Capodistria / Koper an die
Bezirkshauptmannschaft von Capodistria / Koper über den Besuch (16. September
1901), in: AST, Luogotenenza, AP, b. 265, fasc. 4.1.5, 1901/2096.
216 Ebd.
217 Zum Kirchenstreit in Roiano / Rojan, wo Don Iurizza 1901 einen slowenischspra-
chigen Kirchenverein verbot, siehe u. a. Valdevit, Chiesa e lotte nazionali, S. 200.
218 Vgl. Polizeibericht an die Triestiner Statthalterei über die Übertritterwägungen
(18.
Mai 1901), in: AST, Luogotenenza, AP, b.
244, fasc.
4.1.5, 1901/1078; sowie Poli-
zeibericht an die Triestiner Statthalterei über die Übertritterwägungen (4. Novem-
ber 1901), in: Ebd., 1901/2555.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303