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139Kirchenstreit
im ländlichen Hinterland
keinen wesentlichen Unterschied kennen würden.219 Es gab Menschen, die
nicht nur keinen Unterschied zwischen den Riten kannten, sondern über-
haupt nicht wussten, worum es in dem, was sie unterschrieben, ging: Sie hät-
ten nur mitgemacht, weil alle es getan hätten.220 Eine gewisse Maria Jabec
rechtfertigte ihren Austritt etwa mit dem väterlichen Wille: »was mein Vater
gewollt hat, das will ich«.221 Ein anderer Bewohner, Jožef Zohec, räumte ein,
dass er nicht wisse, welcher Religion Bischof Drohobeczky angehöre, aber
er sei der Einzige, der Boljunec einen Priester versprochen habe.222 Einen
wichtigen Grund zum Übertritt stellte die Forderung nach einer eigenen
Pfarrei, also der kompletten Verselbstständigung von Dolina dar.223 Die
Verselbstständigung hätte die Dorfbewohner finanziell entlastet. Johanna
Zohec beklagte sich vor allem über die jährlich an den Pfarrer von Dolina
zu entrichtenden Beiträge. Sie musste zum Beispiel allein vom Wein jährlich
24 Liter an die Pfarrei abgeben. Außer der finanziellen Entlastung sah sie
keinen Unterschied zwischen den zwei Riten.224 Einige, wie etwa Ivan Ota,
erwähnten jedoch die Sprache als einzigen Unterschied.225 Wie ein gewisser
Miha Žerjav sagte, kenne er nur den Unterschied, »daß der griech. Bischof,
wie ich in Ricmanje gesehen habe, die Messe in slowenischer Sprache hielt«.226
Der Besuch von Bischof Drohobeczky in Ricmanje im
September 1901 beein-
flusste also auch die Einwohner von Boljunec, wobei der Bischof die Messe in
der Kirche nicht in slowenischer, sondern kroatischer Sprache las.
Ähnlich diverse Motivationen ließen sich bei den Einwohnern von
Ricmanje erkennen, die Anfang 1902
– nochmals
– ihre Austritte aus der rö-
misch-katholischen Kirche anmeldeten.227 Die italienischsprachige, christ-
219 Protokoll der Bezirkshauptmannschaft Capodistria / Koper (23. Januar 1902), in:
AST, C.d. Capodistria, Culto, b. 170, fol. 48.
220 Zum Beispiel Jože Maver; vgl. Protokoll bei der Bezirkshauptmannschaft
Capodistria / Koper (14. Februar 1902), in: Ebd., fol. 32.
221 Protokoll der Bezirkshauptmannschaft Capodistria / Koper (23. Januar 1902), in:
Ebd., fol. 48.
222 Protokoll der Bezirkshauptmannschaft Capodistria / Koper (31. Januar 1902), in:
Ebd., fol. 50.
223 Zum Beispiel betonte Jozef Zerjal explizit, dass er keine andere Absicht mit dem
Übertritt habe; vgl. Protokoll der Bezirkshauptmannschaft Capodistria / Koper
(28. Februar 1902), in: Ebd., fol. 36; Franc Lampe, vgl. Protokoll bei der Bezirks-
hauptmannschaft Capodistria / Koper (7.
März 1902), in: Ebd., fol.
42; oder Andreja
Žerjav, vgl. Protokoll bei der Bezirkshauptmannschaft Capodistria / Koper (7.
März
1902), in: Ebd., fol. 44.
224 Protokoll der Bezirkshauptmannschaft Capodistria / Koper (31. Januar 1902), in:
Ebd., fol. 52.
225 Protokoll bei der Bezirkshauptmannschaft Capodistria / Koper (14. Februar 1902),
in: Ebd., fol. 27.
226 Ebd., fol. 30.
227 Protokoll der Bezirkshauptmannschaft Capodistria / Koper (Januar / Februar 1902),
in: Ebd., fol. 668ff.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303