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149Kirchenstreit
im ländlichen Hinterland
getrichtert: »sie sollen lieber so zusammenleben gehen, als heiraten«.266 Für
die Paare, die dennoch heiraten wollten, führte Berdon
– manchmal mithilfe
des suspendierten, aber immer noch im Dorf lebenden Dr. Požar – Zeremo-
nien ein, die den katholischen Trauungen ähnelten (siehe Abbildung 7).267
Bei einer Beerdigung zu Weihnachten 1905 wies Berdon darauf hin, dass
das Dorf seinen Glauben nicht verlassen, sondern in seiner eigenen Mutter-
sprache erleben und praktizieren wolle. Dabei erwähnte er das Beispiel von
Jesus Christus, der seine Jünger mit der Anforderung in die Welt geschickt
hatte, »allen Völkern in ihren eigenen Sprachen« zu predigen.268 Aus die-
sem Grunde forderte er im Namen des Dorfes das Recht ein, slowenisch-
sprachige Gottesdienste einführen zu dürfen. Die Dorfbewohner wollten
die muttersprachlichen Gottesdienste nicht deswegen einführen, um sich
nationalistisch gegenüber anderen Völkern (im Sinne eines »Nationalitä-
tenkonfliktes«) abzuschotten, sondern um ihren Glauben sprachlich bes-
ser ausdrücken und verstehen zu können. Diese Forderung war aber keine
Reaktion – im Sinne von Beibehaltung bestehender Praktiken –, sondern
ein bewusstes, proaktives Handeln, mit dem die kirchlichen und weltlichen
Obrigkeiten herausgefordert wurden. Der Selbstbehauptungswille zeigte sich
auch darin, dass sich Ricmanje – im Gegensatz zum ungarischen Drenova
(Kapitel 4.2) – nach außen hin bewusst als rebellisches Dorf inszenierte. Die
Zeremonien der »zivilen« Begräbnisse, Taufen oder Trauungen von Ricmanje
wurden ab 1907 als Postkartenmotive festgehalten und bewahrt. Das slowe-
nischsprachige, nationalliberale Blatt Slovenski Narod forderte »alle natio-
nalen Händler, alle nationalen Trafiks« auf, diese Postkarten zum Ankauf
anzubieten.269 Das Blatt bemerkte stolz, dass sogar im russischen Parlament,
der Duma, die Abgeordneten diese Postkarten »von Hand zu Hand« gereicht
hätten.270 Auf einer Postkarte (siehe Abbildung
8) bezeichnete sich Ricmanje
als »erste slowenische Gemeinde der heiligen katholischen Kirche griechi-
schen Ritus mit altslawischer Liturgiesprache«. Dazu wurde ein Zitat von
Bischof Drohobeczky ausgewählt, in dem er die Dorfbevölkerung beruhigte,
»in wahrem katholischen Glauben« geblieben zu sein. Damit wollte er sagen,
dass der Übertritt zur griechisch-katholischen Kirche keinen Austritt aus
dem Katholizismus bedeute: »Ein Körper, eine Seele… Ein Gott, ein Glau-
ben, ein Christentum.« Eine solche Selbstdarstellung kann wiederum – wie
266 Bericht des Landes-Gendarmarie-Commandos von Boljunec (26. Oktober 1904),
in: AST, C.d. Capodistria, Culto, b. 170, fol. 1236.
267 Bericht des Landes-Gendarmarie-Commandos von Boljunec (2. Dezember 1904),
in: Ebd., fol. 1233.
268 Slovenski Narod, 30. Dezember 1905 [übersetzt aus dem Slowenischen von mir].
269 Slovenski Narod, 6. November 1907 [übersetzt aus dem Slowenischen von mir].
270 Ebd., 3. November 1907 [übersetzt aus dem Slowenischen von mir].
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303