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151Kirchenstreit
im ländlichen Hinterland
sischem Einfluss gestanden hätten.275 Auch wenn sich die Dorfbewohner in
den theologischen und kirchenrechtlichen Differenzen zwischen den katho-
lischen Riten bzw. zwischen dem Katholizismus und der Orthodoxie nicht
vollkommen auskannten – diesbezügliches Wissen war beim Wiener Nun-
tius auch nicht immer vorhanden276 –, wussten sie, was sie vor Ort erreichen
wollten: die muttersprachliche Liturgie und eine eigene Pfarrei.
Die slowenischsprachigen, klerikalen Kreise hatten allerdings Angst vor
säkularisierenden Tendenzen. Ihre Zeitung Slovenec behauptete daher hoff-
nungsvoll, dass mehrere Dorfbewohner weiterhin zur Messe gegangen und
die Kinder nach römisch-katholischem Ritus getauft worden seien
– in Triest
oder anderen, benachbarten Ortschaften, wo die Wortführer von Ricmanje
keine Macht mehr besäßen. Im Dorf sei »der Terrorismus noch im Gange«
gewesen.277 Nicht nur auf den Einfluss von Berdon ließ sich die Eskalation
zurückführen, sondern auch auf die Präsenz von Don Požar, der trotz sei-
ner Suspendierung und Absetzung noch eine Weile im Dorf blieb.278 Er und
seine Anhänger seien sehr geschickt darin gewesen, in einer Situation, in der
einige Dorfbewohner zur römisch-katholischen Kirche gern zurückgekehrt
wären, »die Leute auf ihre Seite wiederzugewinnen«.279 Anfang 1904 berich-
tete die zuständige Bezirkshauptmannschaft daher mit großer Erleichterung
über die angeblich endgültige Abreise von Dr. Požar nach Triest – wo er in
der Redaktion der nationalliberalen, slowenischsprachigen Tageszeitung
Edinost arbeiten würde
–, was eine Wende zuungunsten der »Berdon-Partei«
ermöglicht hätte.280 Solche Hoffnungen erwiesen sich aber als unbegründet.
Der Konflikt schien längst nicht beendet zu sein. Die Gewaltakte gegen den
Dorfkaplan Don Krančič setzten sich ebenso fort. Er konnte letztendlich die
Zustände in Ricmanje nicht mehr aushalten. Im Juni 1903 wurde er zuerst
275 L’ Avvenire, 14. März 1902. Die Zeitung berichtete über den angeblichen Besuch
einer russischen Prinzessin in der Gegend.
276 Nuntius Taliani schrieb etwa über den griechisch-katholischen Bischof Drohobe-
czky als »schismatischen Bischof«, obwohl ein griechisch-katholischer Bischof dem
Papst unterstellt (und insofern keinesfalls schismatisch) ist; vgl. Brief von Nuntius
Taliani an Kardinal Rampolla (1. Dezember 1900), in: AAV, ANV, b. 692, fol. 282.
277 Slovenec, 12. Mai 1903 [übersetzt aus dem Slowenischen von mir].
278 Im Oktober 1903 schien er endgültig nach Triest umzuziehen, aber dann kam er
wenige Tage später doch nach Ricmanje zurück. Es stellte sich auch heraus, dass
er eigentlich nicht in Triest, sondern in der ungarischen Hafenstadt Fiume / Rijeka
war; vgl. Bericht der Bezirkshauptmannschaft von Capodistria / Koper an die Tries-
tiner Statthalterei (17. Oktober 1903), in: AST, Luogotenenza, AP, b. 265, fasc. 4.1.5,
1903/2397.
279 Bericht des Landes-Gendarmarie-Commandos von Boljunec [ohne Datum], in:
AST, C.d. Capodistria, Culto, b. 170, fol. 657f.
280 Bericht des Landes-Gendarmarie-Commandos von Boljunec (24.
Februar 1904), in:
Ebd., fol. 474ff.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303