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152 Österreichisches Küstenland
für mehrere Monate beurlaubt, dann Anfang 1904 in ein anderes Dorf ver-
setzt. Mehr als ein Jahr lang hatte das Dorf keinen eigenen Kaplan vor Ort.281
Erst am Ostersonntag 1905 wurde verkündet, dass Josip Stržinar, der Pfar-
rer von Cattinara / Katinara, mit der seelsorgerischen Aufgabe in Ricmanje
beauftragt werde, ohne dass er in das Dorf umziehen müsse.282 Die Wort-
führer in Ricmanje waren keineswegs zufrieden: 21 Einwohner wandten sich
mit einem slowenischsprachigen Protestbrief an Bischof Nagl.283 Sie wollten
eine eigene Pfarrei, die zum griechisch-katholischen Ritus gehört. Bei der
Übernahme der Kirche erschien niemand aus dem Dorf, nur eine schwarze
Fahne hing an einem Maulbeerbaum vor der Kirche, mit der slowenischen
Anschrift: »Der Pfarrer aus Katinara [Cattinara] ist ein Lump«.284 Trotz der
allgemeinen Ablehnung zelebrierte Don Stržinar ab Mitte Mai 1905 jeden
Sonn- und Feiertag Gottesdienste. Nur aus den umliegenden Ortschaften
kamen jedoch einige Menschen in die Kirche von Ricmanje. Während der
Gottesdienste mussten die Gendarmen das Dorf besetzen, um die Sicherheit
des Kaplans zu gewährleisten.
Der Widerstand zeigte sich jedoch zuerst nicht öffentlich, aber das Kir-
chengebäude wurde immer wieder heimlich beschädigt: Im Juni 1905 etwa
konnte Don Stržinar öfters nicht in die Kirche hinein, weil das Schloss der
Kirchentüre mit kleinen Eisenstückchen und Nägeln verstopft worden war.
Die Täter konnten nicht gefunden werden, weil – wie die örtliche Bezirks-
hauptmannschaft traurig feststellte – »keiner in der Ortschaft jemanden
verraten tut«.285 Die Bezirkshauptmannschaft erklärte die Ablehnung gegen-
über Don Stržinar jedoch nicht mit politischen oder religiösen Gründen,
sondern nur mit der Natur des neuen Pfarrers. Er sei »als ein sehr grober und
abstossender Geistlicher« »sehr verhasst« gewesen:
281 »Res Ricmanjenses« [ohne Datum], in: Župnijski in dekanijski arhiv Dolina / Archi-
vio parocchiale e decanato di San Dorligo della Valle (Pfarr- und Dekanatsarchiv
von Dolina / San Dorligo della Valle; weiter: ŽDAD), Knjige, škatla 49 (Bücher,
Box 49; weiter: Knjige 49), Kronika županije 1900–1984 (Chronik der Pfarrei; wei-
ter: Kronika) [keine weitere Nummerierung].
282 Slovenec, 29. April 1905.
283 Protestbrief aus Ricmanje (2. Mai 1905), in: ADT, GO, 1905/1634. Auch an Papst
Pius X schrieben sie einen Brief, in dem sie gegen die Errichtung einer römisch-
katholischen Pfarrei protestierten; vgl. Brief aus Ricmanje an Papst Pius X
(10. [12.] Mai 1905), in: ŽAR, Kosmač, fasc. 4 [keine weitere Nummerierung].
284 Bericht der Bezirkshauptmannschaft von Capodistria / Koper (30. Juni 1905), in:
AST, Luogotenenza, AG, b. 1263, 1905/20165 [übersetzt aus dem Slowenischen
von mir].
285 Ebd.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303