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153Kirchenstreit
im ländlichen Hinterland
Ich bin daher der Ansicht, dass durch die Ernennung beziehungsweise Anstellung
eines eigenen Pfarrers, welcher es verstehen würde in liebenswürdiger, geduldiger und
zugleich konzilianter Weise auf die erregten Gemüter einzuwirken, die Ortsbewohner
von Ricmanje doch eines Besseren belehrt werden könnten und vielleicht wieder in
den Schoss der römisch-katholischen Kirche zurückkehren würden.286
Ricmanje wurde inzwischen zu einem religiös / kirchlich neu besetzbaren
Raum. Da über den Kirchenstreit in der ganzen Donaumonarchie berich-
tet wurde, kamen mehrere Agitatoren nach Ricmanje, die das Dorf für
protestantische, altkatholische oder orthodoxe Ideen gewinnen wollten.
Im Sommer 1905 besuchte etwa der böhmische, protestantische Theologe
Anton Chráska, der seit einiger Zeit in Ljubljana / Laibach lebte, das Dorf,
um die Bewohner zum Übertritt in eine protestantische Kirche zu überzeu-
gen.287 Einige Dorfbewohner trafen sich in Triest im Café Balkan mit einem
Gesandten der Prager altkatholischen Gemeinde. 91 Familienväter seien in
Ricmanje angeblich bereit gewesen, eine altkatholische Gemeinde – unter
der Obhut der Prager Gemeinde – zu gründen.288 Nicht nur religiöse Agi-
tatoren entdeckten die Möglichkeit, Ricmanje für ihre Ideen zu gewinnen.
Auch antiklerikal-atheistische Kreise wollten den Widerstand für ihre Ziele
fruchtbar machen
– sie dachten, dass Ricmanje im Kontext des Kulturkamp-
fes gegen die katholische Kirche verortet werden könne. Ein gewisser Emil
Frauer wollte im Dorf sogar »ein Zentrum einer antikatholischen Bewe-
gung« ins Leben rufen.289 Die Dorfbewohner schienen nicht nur den Katho-
lizismus, sondern allmählich auch die Religiosität abzulehnen. 1906 melde-
ten sich mehrere von ihnen als konfessionslos an,290 womit der Kirchenstreit
einen neuen Höhepunkt (oder Tiefpunkt) erreichte. Die Forderung nach
einer Pfarrei entwickelte sich immer mehr zu einem Kampf gegen jegliche
Abhängigkeiten. Die Dorfgemeinschaft war aber an radikal-säkularen oder
freidenkerischen Tendenzen nicht interessiert. Die Abkehr von der Kirche
war eine Reaktion und keineswegs das ursprüngliche und eigentliche Haupt-
ziel des dörflichen Widerstandes. Die Dorfbewohner unterschieden insofern
zwischen der Amtskirche und dem römisch-katholischen Glauben – dem
letzteren wollten sie, solange es möglich war, treu bleiben.
286 Ebd.
287 Bericht des Landes-Gendarmerie-Commando von Boljunec (13.
Juli 1905), in: AST,
C.d. Capodistria, Culto, b. 170, fol. 1249; sowie Bericht des Landes-Gandermarie-
Commando von Boljunec (15. Juli 1905), in: Ebd., fol. 1247.
288 Bericht des Triestiner Polizei-Präsidiums (30. Dezember 1905), in: Ebd., fol. 1263.
289 Bericht der Triestiner Polizei-Direktion (30. März 1906), in: Ebd., fol. 47.
290 Anmeldungen in: Ebd., fol. 232, 243, 251–356, 374, 382ff., 406, 461ff.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303