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154 Österreichisches Küstenland
Im Herbst 1906 erhielt das Dorf einen neuen Priester, der sogar bereit
war, aus Triest in das Dorf umzuziehen. Er hieß Jakob Ukmar. Don Ukmar
war ein slowenischsprachiger Priester aus Triest, der mit seinen klerikalen,
christlich-sozialen, austro-loyalen Ideen den politischen und kirchlichen
Zielen von Bischof Nagl sehr nahestand.291 Die slowenischsprachige, liberale
Tageszeitung Slovenski Narod nannte ihn deswegen kritisch den »erste[n]
Klerikaler von Triest und Umgebung«.292 Sowohl Bischof Nagl als auch Don
Ukmar unterstützten einen Katholizismus, der fähig wäre, sich jenseits der
nationalistischen Polarisierungen als eigenständige, supranationale, proös-
terreichische, soziale Kraft zu behaupten. In der Kirchenpolitik forderten
sie daher klerikale Rom-Treue, also eine ultramontane Einstellung, ein. In
der Innenpolitik verpflichteten sie sich der Idee eines supranationalen und
katholischen Österreichs, in dem nationale und religiöse Identität sowie
imperiale Loyalität einander ergänzen und stärken und nicht ausschließen.
Don Ukmar wusste, dass die Nationalisierung des Kirchenlebens – wie der
Fall in Ricmanje zeigte – die Positionen der römisch-katholischen Kirche
letztendlich untergraben würde. Seine Aufgabe als neuer Pfarrer in Ric-
manje bestand dementsprechend darin, die aufgewühlte Dorfgemeinschaft
zu beruhigen und in die römisch-katholische Kirche »zurückzuholen«. Als
slowenischsprachiger und junger Priester, der in die lokalen Verhältnisse
nicht verwickelt war, schien er für diese Aufgabe besser aufgestellt zu sein als
ältere Geistliche aus der Umgebung.
Don Ukmar trat seine Stelle im November 1906 an. Obwohl er von
Anfang an im Dorf skeptisch beäugt wurde, reagierte er entweder mit uner-
warteter Freundlichkeit oder gar nicht auf die Provokationen und Schika-
nen, denen seine Vorgänger ausgesetzt gewesen waren. An seinem ersten Tag
Ende
November 1906 wurde er vom Dorfvorsteher Ivan Berdon in Ricmanje
empfangen. Berdon entschuldigte sich zwar für die schlimmen Zustände
der Pfarrerwohnung: »[D]aran ist der verfluchte deutsche Bischof [Nagl]
schuld«.293 Er stellte aber sofort klar, dass er gegen die Idee sei, in Ricmanje
einen römisch-katholischen Priester zu haben: »Wir brauchen keinen Pries-
ter und können ganz ruhig auch so leben und sterben. Schauts diese nicht
getauften erwachsenen Kinder. Ich lasse ihn nimmer taufen. So lange ich ein
Vater bin, geht er mir nicht in die Kirche…«294 Einige Frauen, die dem Dorf-
vorsteher zugehört hatten, taten kund, dass ihnen die Lage von Don Ukmar
291 Edinost, 25. November 1906.
292 Slovenski Narod, 18. Dezember 1906 [übersetzt aus dem Slowenischen von mir].
293 Zitiert auf Deutsch im Brief von Don Ukmar an Bischof Nagl (25.
November 1906),
in: ADT, GP, 1906/82 (Don Ukmar fügt in seinem Brief an Bischof Nagl hinzu:
»Hier ging ein ganzes Gewitter auf Ihre Exzellenz los …«).
294 Ebd.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303