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156 Österreichisches Küstenland
los gegenübersteht.«301 Den Widerstand verortete er somit nicht im Narrativ
der »Nationalitätenkonflikte«, sondern des europaweit (in Frankreich wie
angeblich auch im winzigen Ricmanje) zutage tretenden »Kulturkampfes«.
Er interessierte sich für die weiterhin fortgesetzten »zivilen« Begräbnis-
se.302 Als er Mitte Dezember 1906 erfuhr, dass jemand gestorben war, ging
er in das Haus, wo er am Bett der gestorbenen Frau betete. Don Ukmar bot
dem Ehemann Hilfe an, aber er lehnte den Priester barsch ab: »Wir haben aus
unserem Hause schon drei so [also ohne Priester
– P. T.] bestattet und werden
die da auch so beerdigen, wie es bei uns Sitte ist. Einen Priester brauchen wir
nicht.«303 Don Ukmar begann zwar nicht, mit dem Mann zu diskutieren, aber
er akzeptierte die Ablehnung nicht. Zur Überraschung aller tauchte er plötz-
lich bei der Beerdigung auf: Als Priester angekleidet (mit Stola usw.) gesellte
er sich zum Leichenzug. Einige hätten ihn ausgelacht, andere beschimpft. Er
war sich jedoch sicher, dass die meisten deswegen stumm auf ihn reagierten,
weil sie »voll einer hl. Scheu« gewesen seien. Er ließ sich nicht verjagen und
ging mit den ca. 400 Menschen auf den Friedhof, wo die Zeremonie pseudo-
religiöse Züge hatte. Don Ukmar nahm daran teil, kniete nieder und betete
wie alle anderen. Am Ende trat er sogar nach vorn ans Grab und segnete es.
Die Menschen hätten ihm schweigend nur zugeschaut.304
Die Bewohner reagierten nicht immer so ruhig auf ihn. Don Ukmar
musste physische Gewalt erleben wie die vorherigen Kapläne in Ricmanje
ebenso. Im Februar 1907 wurde er etwa von einigen Kindern mit Steinen
beworfen, und sie riefen ihm »Weg mit dem Pfarrer« nach.305 Noch im selben
Frühjahr gab es ähnliche Fälle.306 Am 18. März 1907 kamen mehrere Pilger
in Ricmanje an, die Dorfkinder strömten währenddessen in die Kirche ein
und benahmen sich dort wild.307 In der Kirche las Don Ukmar mit drei ande-
ren Priestern eine Messe für die eingetroffenen Pilger.308 Einer der Priester
wurde im Dorf auf der Straße daraufhin als »Bastard« beschimpft.309 Trotz
solcher Schikanen genoss Don Ukmar seine »Mission«. Er bat noch im
März
301 Brief von Don Ukmar an Bischof Nagl (15. Dezember 1906), in: Ebd.
302 Das erste »zivile« Begräbnis, das Don Ukmar miterlebte, fand am 2.
Dezember 1906
statt; vgl. Eintrag am 2. Dezember 1906, in: ŽAR, Annales.
303 Zitiert auf Deutsch im Brief von Don Ukmar an Bischof Nagl (15. Dezember 1906),
in: ADT, GP, 1906/82 (zitiert auch im Kirchenbuch; vgl. 12. Dezember 1906, in:
ŽAR, Annales).
304 Brief von Don Ukmar an Bischof Nagl (15. Dezember 1906), in: ADT, GP, 1906/82.
305 Eintrag am 19.
Februar 1907 im Annales, in: ŽAR [übersetzt aus dem Slowenischen
von mir].
306 Einträge am 7. März 1907, 14. März 1907, 21. März 1907, 25. März 1907, 26. März
1907, 11. April 1907, 15. April 1907, in: Ebd.
307 Eintrag am 18. März 1907, in: Ebd.
308 Eintrag am 20. März 1907, in: Ebd.
309 Eintrag am 21. März 1907, in: Ebd. [übersetzt aus dem Slowenischen von mir].
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303