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157Kirchenstreit
im ländlichen Hinterland
1907 Bischof Nagl darum, ihn nicht aus Ricmanje zu entfernen.310 Ihm gefiel
die Herausforderung, ein feindseliges Dorf zu bekehren. Zu Ostern war die
Stimmung im Dorf jedoch so aufgewühlt und feindselig, dass die liberale
Zeitung Slovenski Narod sarkastisch bemerkte: »Wir wissen nicht, ob Chris-
tus in Ricmanje auferstanden ist, oder nicht.«311 Kurz danach, Ende April
1907, wechselte Don Ukmar in die Triestiner Innenstadt-Kirche Sant’ Anto-
nio vecchio / Sv. Anton stari.312 Offiziell blieb er zwar weiterhin Kaplan von
Ricmanje,313 aber Bischof Nagl wollte ihn nicht mehr dem dortigen feindseli-
gen Zustand aussetzen. Als er das Dorf verließ, sagte ihm der Dorfvorsteher
Ivan Berdon, dass »die Menschen Sie nicht so behandelten, wie es sich mit
einem Priester gehört«. Berdon habe sich nicht wohl mit der Lage gefühlt, die
»leider so« sei.314
Nach Don Ukmar blieb das Dorf ohne Priester. Der böhmische Vorsit-
zende des Prager Freidenkerkongresses, Karl Palent, lobte daraufhin Ric-
manje als »Mustergemeinde«, »welche bei uns den Mut hatte, mit Rom
abzurechnen und welche praktisch die Trennung von Staat und Kirche
durchgeführt hat«.315 Plötzlich wurde der Konflikt nicht (nur) im Kontext
des »Nationalitätenkonfliktes«, sondern in jenem des »Kulturkampfes«
gesehen. Die Wiener Neue Freie Presse bezeichnete das bäuerliche Ricmanje
als »Freidenkergemeinde«.316 Das slowenischsprachige, klerikale Blatt Slo-
venec warf hingegen den slowenischen nationalistischen Kreisen in Triest
vor, Lügen im Dorf zu verbreiten, wo die Bewohner deswegen »ohne Pries-
ter, ohne Taufe, ohne Gesetz, ohne den letzten Trost als völlig heidnische
Gemeinde« leben würden.317
Im Dorf führte der Widerstand zu einer Situation, welche das lokale Leben
und die menschlichen Beziehungen, etwa zu den anderen slowenischsprachi-
gen Gemeinden, immer mehr belastete. Das Dorf entfremdete sich nicht nur
vom Bistum und der katholischen Religion, sondern auch von seiner slowe-
nischsprachigen Umgebung. Ein konfessionsloses Dorf mag einigen antikle-
rikalen Zeitungen beispielhaft vorgekommen sein, aber die Katholiken der
Umgebung, die alle slowenischsprachig waren, reagierten mit Unverständnis
und Empörung auf die Ereignisse in Ricmanje. Daher schaltete sich der kroa-
tischsprachige Reichsratsabgeordnete aus Wien, Matija Laginja, in die Affäre
ein: In seinem Brief an das österreichische Kultusministerium forderte er
310 Brief von Don Ukmar an Bischof Nagl (5. März 1907), in: ADT, GP, 1907/14.
311 Slovenski Narod, 20. April 1907 [übersetzt aus dem Slowenischen von mir].
312 Slovenec, 23. April 1907.
313 Simčič, Jakob Ukmar, S. 52.
314 Eintrag am 29. April 1907 im Annales, in: ŽAR [übersetzt aus dem Slowenischen
von mir].
315 Zitiert in Neue Freie Presse, 28. August 1907.
316 Ebd.
317 Slovenec, 23. September 1907 [übersetzt aus dem Slowenischen von mir].
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303