Page - 169 - in Umkämpfte Kirche - Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
Image of the Page - 169 -
Text of the Page - 169 -
169Fazit
Vereinnahmung einer Gesellschaft instrumentalisiert werden. Wem gehört
der kirchliche Raum? Welche Sprache ist in der Kirche zu verwenden? Durch
solche Fragen ließ sich die Kirche – sowohl ideell (in Bezug auf den Katholi-
zismus), als auch materiell (in Bezug auf den konkreten kirchlichen Raum)
–
beanspruchen. Um die Kirche als Raum, die Sprache als Gegenstand oder
den Priester als Funktion konkurrierten die Akteure in den Kirchengemein-
den (Kapitel 3.1). Sie benutzten dabei – wie gezeigt – oft das nationale Voka-
bular, auch wenn der Konkurrenzkampf nicht (nur) national, sondern viel-
mehr sozial bedingt war. Ein Konkurrenzkampf beinhaltet stets gleichzeitig
proaktive und reaktive Elemente: Die eine Seite beschützt ihre bisherige
Situation, die andere Seite fordert diese Situation aktiv heraus. In einer Kir-
chengemeinde, in der die südslawische Bevölkerung sozial benachteiligt und
marginalisiert war und jahrzehntelang jeden Sonntag die lateinischen Got-
tesdienste nicht oder kaum verstehen konnte, prallten proaktive Ansprüche
dieser Bevölkerung auf die reaktiven Ansprüche der italienischsprachigen
Bevölkerung, die die »Slawisierung« des Kirchenlebens
– sprich: die Öffnung
der Kirche gegenüber den marginalisierten südslawischen Bevölkerungstei-
len – aufhalten wollte.
In Ricmanje, wo keine ethnisch-sprachlichen Differenzen vorlagen, zeigte
sich eindeutig, dass der Konkurrenzkampf um den kirchlichen Raum weder
ethnisch-national noch horizontal geprägt war (Kapitel 3.2). Die Dorfge-
meinschaft wollte sich proaktiv innerhalb der bestehenden vertikalen Struk-
turen behaupten, und dabei geriet sie mit ihren Priestern und dem Bistum
in Konflikt.
Nur in seltenen Fällen wurden aber solche Interessenskonflikte und
Gewaltakte jenseits der nationalisierenden Verortungen wahrgenommen.
So ein Fall war etwa der Angriff auf den Priester in Corridico / Kringa. Als
im Juni 1906 im fast ausschließlich kroatisch bewohnten,359 mittel-istriani-
schen Dorf das Pfarrhaus nächtlich – wie es im Polizeibericht stand – »mit
Steinen förmlich bombardiert« wurde, konnte die Polizei den Akt mit nichts
anderem als der »Natur« des Volkes erklären, die »wild und gewaltsüch-
tig« sei.360 So einfach war es aber nicht. Der dortige Konflikt zwischen dem
Pfarrer und der Kirchengemeinde bestand vor allem in den divergierenden
Moralvorstellungen: Der Pfarrer lehnte viele Gewohnheiten des kleinen
Mikrokosmos ab (er bezeichnete die Bewohner öfter in seinen Predigten als
359 Im Jahre 1900 gaben 1.201 von den 1.205 Einwohnern das Kroatische als ihre
Umgangssprache an; Daten aus: Gemeindelexikon der im Reichsrathe vertretenen
Königreiche und Länder, S. 68.
360 Vorfallens-Bericht der Bezirkshauptmannschaft Pisino / Pazin (16. Juni 1906), in:
AST, Luogotenenza, AP, b. 305, fasc. 11b, 1906/5261.
back to the
book Umkämpfte Kirche - Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914"
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303