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180 Ungarisch-Kroatisches Küstenland
verfügten.33 Viele Bewohner wurden für militärische Zwecke in die Region
mit Privilegien »gelockt« und dort angesiedelt – so entstand eine ethnische
und religiöse Vielfalt mit gleichzeitigen Ausgrenzungen und Überlappungen
der Identitäten.34 In der Militärgrenze wurde die Religion immer mehr zum
wichtigsten Unterscheidungsmerkmal, anhand dessen sich die Bewohner
unterschiedlich verorten konnten. Hier lässt sich also
– als Gegentendenz zur
Nationalisierung der Selbstwahrnehmungen – eine »Konfessionalisierung«
der Identitäten beobachten. Der Unterschied zwischen den »Kroaten« und
den »Serben« drückte sich immer stärker nur konfessionell aus.35 Auch die
ungarischen Volkszählungen machten keinen Unterschied zwischen kroati-
scher und serbischer Sprache / Nationalität, daher wurde die Konfession zum
einzigen Indikator für nationale Selbstverortung und Fremdwahrnehmung.
Nach der Volkszählung von 1891 lebten 190.978 Menschen in der Gespan-
schaft Lika-Krbava, wovon 93.313 katholisch und 97.649 orthodox waren.36
Nach der Eingliederung dieser Gebiete in die zivile Verwaltung von Kroa-
tien-Slawonien (1881) verlor die dortige Bevölkerung ihre Vorrechte. Inso-
fern war die Stimmung unter den früher militarisierten Bauern gegenüber
den kirchlichen und zivilen Obrigkeiten angespannt: Im Jahre 1883 brach
der erste Bauernaufstand nach der Eingliederung aus. Auch die spätere Auf-
standswelle von 1897 war unter anderem von der Erinnerung an die weg-
gefallenen Privilegien stark geprägt.37 Weil sich die Bewohner der ehemali-
gen Militärgrenze als Kämpfer betrachteten, reagierten sie rebellisch, wenn
ihnen Privilegien – nach der Eingliederung der Militärgrenze in die zivile
Verwaltung Kroatiens – entzogen wurden.38
Alle Katholiken der Region waren – im Gegensatz zu den anderen Teilen
des Küstenlandes (Fiume / Rijeka, Istrien, Triest) – kroatischsprachig: Eth-
nisch-nationale Gegensätze polarisierten nicht die örtlichen Kirchengemein-
33 Horel, Die Entmilitarisierung der kroatisch-slawonischen Militärgrenze, S. 156.
34 Die unklaren, verflochtenen Strukturen und Identitäten wirkten in diesem Gebiet
bis ins 21. Jahrhundert, etwa infolge des Jugoslawienkrieges und der Vertreibungen,
hinein; vgl. Bernhard Struck, Grenzregionen, in: Europäische Geschichte Online
(EGO), hg. v. Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), URL: <http://ieg-
ego.eu/de/threads/crossroads/grenzregionen> (15.10.2019).
35 Kaser, Freier Bauer und Soldat, S. 608.
36 Daten aus: Országos Királyi Magyar Statisztikai Hivatal (Hg.), A Magyar Korona
Országaiban az 1891. év elején végrehajtott népszámlálás eredményei. I. rész: Álta-
lános népleírás [Die Ergebnisse der am Anfang des Jahres 1891 in den Ländern der
Ungarischen Krone durchgeführten Volkszählung. Teil
I: Allgemeine Volksbeschrei-
bung], Budapest 1893, S. 104f.
37 Petrungaro, Pietre e fucili, S. 44f.
38 Über die Auflösung der kroatischen Militärgrenze siehe Rothenburg, The Military
Border in Croatia, S. 180ff.; Mirko Valentić, Vojna Krajina i pitanje njezina sjedin-
jenja s Hrvatskom 1849–1881 [Militärgrenze und die Frage ihrer Vereinigung mit
Kroatien 1849–1881], Zagreb 1981; sowie Horel, Die Entmilitarisierung der kroa-
tisch-slawonischen Militärgrenze.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303