Page - 200 - in Umkämpfte Kirche - Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
Image of the Page - 200 -
Text of the Page - 200 -
200 Ungarisch-Kroatisches Küstenland
im August 1894 den kroatischen Banus Károly von Khuen-Héderváry »im
Namen der Perušićer Welt« auf, Don Kovačić abzusetzen und die wegen der
Unruhen festgenommenen sechs Personen freizulassen.129 Die Bezeichnung
»Welt« (»svjet«) zeigte die geschlossene Selbstwahrnehmung der Dorfbewoh-
ner, die sich nicht als Teil einer abstrakten »Nation«, sondern vordergrün-
dig lokal, in ihrem eigenen, eigenständigen Mikrokosmos verorteten.130 Das
familiäre und dörfliche Netzwerk stellte für sie den wichtigsten (und viel-
leicht sogar den letztmöglichen) Erwartungs- und Wahrnehmungshorizont
dar. Die Menschen verteidigten ihre »Welt«. Deswegen wollten sie die kroa-
tischsprachigen Gottesdienste so beibehalten, wie sie sie gewohnt waren.
Das nationalistische Narrativ über ein zu belehrendes Volk, das einen
anständigen Priester angreift, widerspricht der Idee, dass der Nationalis-
mus dem Willen des Volkes entsprungen sei. Die kroatisch-nationalistische
Presse benötigte daher andere Erklärungsstrategien, in denen dieser Wider-
spruch aufgehoben werden konnte. Diese neue Erklärung wurde bezüglich
des Widerstandes im August 1894 in Perušić und den anderen Dörfern der
Gegend »gefunden«. Als sich die Rebellion gegen den dortigen Pfarrer, Don
Kovačić, richtete, schilderte die nationalistische Presse den Konflikt anders,
damit dieser nicht mehr nach einem antialtslawischen, sondern einem anti-
ungarischen / antiserbischen Aufstand – in diesem Sinne als Ausdruck einer
»richtig« nationalen Selbstverortung der lokalen Ebene – aussah. Im Falle
von Kriviput räumten die nationalistischen Zeitungen ein, dass ihr Nationa-
lismus auf der lokalen Ebene vorerst gescheitert sei, und sie machten dafür
das »Unwissen«, die »nationale Indifferenz«, des Volkes verantwortlich. Im
Falle von Perušić von August 1894 konnten sie dieses »Scheitern« in einem
anderen Narrativ neu kontextualisieren – und dadurch sogar als Erfolg
verbuchen.
Wie war das möglich? Im Gegensatz zu Don Modrčin, dem Pfarrer von
Kriviput, bekleidete der angegriffene Don Kovačić auch politische Ämter.
Er saß, wie oben erwähnt, für die ungarnfreundliche Regierungspartei im
kroatischen Parlament. Dieses Detail ermöglichte den nationalistischen
Blättern, den Fall im Kontext der »Nationalitätenkonflikte« zu verorten, als
ob die kroatischsprachigen Bauern Don Kovačić (nur) wegen seiner angeb-
lichen ungarnfreundlichen (das heißt »madjaronen«) Ansichten angegriffen
hätten. Das oppositionelle Blatt Hrvatska betonte in seinem Bericht, dass die
Dorfbevölkerung in Perušić eben davor Angst gehabt habe, von einem »mag-
jaronen Priester« »vlachisiert«, das heißt zu orthodoxen Serben gemacht zu
129 Telegramm von 18. August 1894, in: HDA, ZV, Pr., kut. 487, 1962/1894 [übersetzt
aus dem Kroatischen von mir].
130 Zur Bedeutung der Selbstbezeichnung als »Welt« siehe Petrungaro, Pietre e fucili,
S. 71f.
back to the
book Umkämpfte Kirche - Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914"
Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303