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208 Ungarisch-Kroatisches Küstenland
die Mönche unter ihrem Baugerüst vorbeiflanierten. Die Frauen hatten dem
Vorgang zugesehen und eilten ihnen sofort zu Hilfe.149
Den lachenden Arbeitern und den weinenden Frauen war in diesem
Moment wahrscheinlich nicht bewusst, dass sie der »Nationalitätenkon-
flikte« teilhaftig wurden. Drei marginalisierte Gruppen (Kapuziner, Arbei-
ter, Frauen) trafen aufeinander
– in einer Stadt, deren Öffentlichkeit von einer
italienischsprachigen, großbürgerlichen, liberalen, antiklerikalen, männli-
chen Elite dominiert war. Die ungarischsprachige (mit der italienischspra-
chigen Elite verbundene) Tageszeitung der Stadt, Fiumei Estilap, behauptete,
dass die italienischsprachigen Maurer die kroatischsprachigen Kapuziner »aus
Rache« attackierten, um »ihre Antipathie gegen die großkroatisch fühlenden
Priester zu zeigen«.150 Was die Arbeiter wirklich dachten, ist unbekannt. Sie
waren nur Objekte in einem nationalistischen Diskurs, der einen vielleicht
eher persönlich oder antiklerikal motivierten Vorfall zwischen Arbeitern
und Kapuzinern auf der mental map der städtischen Elite verortete. Nach
der Raumimagination der städtischen Elite waren alle Konflikte national
motiviert. Daher schien es dem Blatt wichtig zu sein, die Frauen, die Arbei-
ter und die Kapuziner national-sprachlich zu markieren. Damit ließ sich ein
nationales Lagerdenken aufrechterhalten, in dem die vermeintliche natio-
nale Abstammung / Muttersprache das Parteiergreifen in allen Konflikten
bestimmt hätte.
Die städtische Öffentlichkeit in Fiume / Rijeka war im Sommer und
Herbst 1908 besonders aufgeregt. Am 31. Juli 1908 meldete A Tengerpart,
eine ungarischsprachige Tageszeitung der Hafenstadt, dass »ein kleiner
Nationalitätenskandal die Einwohner von Drenova, einer Untergemeinde
von Fiume [Rijeka] in Spannung hält«.151 Die italienisch- und ungarisch-
sprachigen Zeitungen waren nach August 1908 voller Artikel über diesen
Fall. Im Mittelpunkt stand Drenova, dessen Bewohner mit dem Klerus in
Fiume / Rijeka sowie dem Bistum von Senj in Konflikt gerieten, nachdem das
Bistum den vor Ort beliebten Priester entfernt hatte. Das Bistum schickte
zwar neue Priester in das hoch gelegene Dorf, aber da ihnen das Stadtmagis-
trat die Dorfkirche nicht zur Verfügung stellte, wurde das Kirchenleben in
Drenova unmöglich gemacht. Immer wieder kamen neue Nachrichten über
kroatischsprachige Priester, die die örtliche Bevölkerung »terrorisieren«
würden. Ein Angriff von italienischsprachigen Arbeitern auf kroatischspra-
chige Priester in der Stadt ließ sich daher gerade zu dieser Zeit gut in diesem
Kontext der Streitigkeit darstellen. Die »kroatisch« markierte Kirche und die
149 Fiumei Estilap, 29. Oktober 1908.
150 Ebd. [übersetzt aus dem Ungarischen von mir].
151 A Tengerpart, 31. Juli 1908 [übersetzt aus dem Ungarischen und Hervorhebung
von mir].
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303