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222 Ungarisch-Kroatisches Küstenland
ler Dorfbewohner wie die Priester. Im Januar 1909 mussten die Gendarmen
dem Widerstand sogar nachgeben und wegen der aufgewühlten Menschen in
die Hafenstadt zurückkehren.218
Das gewohnte Kirchenleben in Drenova war aber nicht nur von den kirch-
lichen und städtischen Einmischungen – also der Absetzung von Don Zigar
sowie dem Zusperren der Dorfkirche – gestört, sondern auch von inneren
Spannungen. Der gewaltsame Widerstand war im Dorf höchst umstritten:
Einige Dorfbewohner wünschten sich ein »normales« Kirchenleben zurück
und hätten sich mit anderen Priestern abfinden können und wollen. Dabei
zeichneten sich die inneren Frontlinien innerhalb der Gemeinde ab. Es wäre
daher pauschalisierend zu behaupten, dass alle Dorfbewohner den Priestern
aus Fiume / Rijeka feindlich gegenübergestanden hätten. Priester wurden
nicht nur verjagt, sondern von einigen Dorfbewohnern eingeladen, heimlich
im Dorf in einigen Privathäusern Gottesdienste zu lesen. Das Dorf war also
bezüglich des Widerstandes gespalten. Die Zeitung La Voce del Popolo sprach
im September 1908 darüber, dass es in Drenova, »einem friedlichen Ort«,
neulich praktisch »tagtäglich« zu »Streitigkeiten und Tumulten« gekommen
sei.219 In einer Osteria seien die Gäste
– wegen einer politischen Streitigkeit
–
im September 1908 gewalttätig aufeinander losgegangen.220
Im September 1908 lud ein Maurer aus Drenova, ein gewisser Giuseppe
(Josip) Scrobogna Don Bujan, einen Priester aus Fiume ein. Die Messe konnte
letztendlich aber nicht stattfinden. Als die beiden Männer im Dorf eintrafen,
versammelten sich 70–80 Menschen gegen sie. Don Bujan kehrte sofort in die
Stadt zurück. Der erwähnte Maurer floh vor dem Zorn seiner Mitbewohner
in die Wachstelle der örtlichen Gendarmerie. Erst nach einer Stunde traute
er sich heimzugehen.221 Die italienischsprachige Presse sprach bezüglich
des Vorfalles von »einer winzigen Fraktion von kroatischen Einwohnern«,
welche den Priester eingeladen habe.222 Mit dieser Bemerkung ließ sich das
Narrativ des »Nationalitätenkonfliktes« aufrechterhalten und sogar in die
inneren Verhältnisse einer sonst homogen kroatischen Gemeinde wie Dre-
nova projizieren.
Es war nicht das erste oder das letzte Mal, dass einige Dorfbewohner
Priester aus der Hafenstadt nach Drenova holten oder riefen. Nach den
Informationen der Hauptstadtzeitung Budapesti Hírlap hätten »die Kroaten«
Ende
Dezember 1908 den Kirchenschlüssel, der in der Priesterwohnung auf-
bewahrt wurde, sogar stehlen wollen: Sie hätten versucht, in die Wohnung
218 Il Popolo, 5. Januar 1909.
219 La Voce del Popolo, 8. September 1908 [übersetzt aus dem Italienischen von mir].
220 Il Corriere, 8. September 1908.
221 Bericht der Sicherheitswacht (6. September 1908), in: DAR, Magistrato, Op.Sp.,
D-67-1908 – 20993.
222 Il Popolo, 13. September 1908 [übersetzt aus dem Italienischen von mir].
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303