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224 Ungarisch-Kroatisches Küstenland
ten diese Initiative – gemäß des Narratives des »Nationalitätenkonfliktes« –
wiederum der »kroatischen Partei« im Dorf zu.228
Drenova hatte gleichzeitig wegen seines Widerstandes einen schlechten
Ruf – ähnlich wie Ricmanje – in seiner Umgebung. Im September 1908
kehrte ein Kutscher aus Dražice in eine Kneipe von Drenova ein und habe
die Dorfbewohner betrunken wegen ihres antikirchlichen Benehmens belei-
digt: Mehrere Einheimische seien daraufhin aufgestanden und hätten den
fremden Gast verprügelt.229 In den kroatischsprachigen Zeitungen gab es
auch Leserbriefe, in denen sich Bewohner aus den umliegenden Nachbar-
dörfern über den vermeintlich antikirchlichen und national indifferenten
Widerstand in Drenova aufregten – wie etwa im Herbst 1908 in der Riječki
Novi List:
Sprecht ihr italienisch, oder sprecht ihr dieselbe Sprache, wie unsere Brüder in Grob-
nik, Trsat, Podvežica, Kostrena? Und wenn ihr also [dieselbe Sprache sprecht], könn-
tet ihr Italiener sein? Hand auf die Brust, Drenovaer, und klug im Kopf. Reißt euch
zusammen und denkt über diese Frage nach.230
Was in Drenova passierte, blieb keinesfalls eine lokale Angelegenheit. Die
Streitigkeit beschäftigte auch die »hohe Politik«. Budapest, Wien und der
Hl. Stuhl verfolgten mit großem Interesse die Ereignisse. Die mikroge-
schichtlichen Prozesse in Drenova gelangten somit in einen makrogeschicht-
lichen Kontext: die innenpolitischen und diplomatischen Debatten um die
»Nationalisierung« des Kirchenlebens in der Donaumonarchie. Der autono-
mistische Parlamentsabgeordnete Riccardo Zanella traf sich mit dem unga-
rischen Ministerpräsidenten Sándor Wekerle schon Mitte August 1908, um
die Drenova-Affäre
– als eine negative Folge der zu lösenden »Bistumsfrage«,
das heißt der kirchenrechtlichen Zugehörigkeit der Hafenstadt, – zu bespre-
chen.231 Mitte
November 1908 ging eine Kommission, angeführt von Zanella,
nach Rom,232 aber sie wurden von Papst Pius X – wegen seiner Krankheit –
nicht empfangen. Der Hl.
Stuhl interessierte sich von Anfang an für den Fall.
Pignatelli di Belmonte, der Nuntius in Wien, warnte vor einer Überdimen-
sionierung des Falles: Er erwartete von der Ernennung eines neuen Bischofs
228 Il Popolo, 19. September 1909 [übersetzt aus dem Italienischen von mir].
229 La Voce del Popolo, 8. September 1908.
230 Riječki Novi List, 25. August 1908 (Die erwähnten Orte sind kroatische Dörfer in
der Nähe von Fiume / Rijeka) [übersetzt aus dem Kroatischen von mir].
231 Agramer Zeitung, 22. August 1908.
232 Fiumei Estilap, 21. November 1908 (Das ungarisch-nationalistische Anti-Zanella-
Blatt, A Tengerpart, meinte aber, dass dieser Besuch überflüssig sei; vgl. A Tenger-
part, 21. November 1908).
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303