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228 Ungarisch-Kroatisches Küstenland
Kukanić wegen Don Zigars Beliebtheit250 bei der kirchlichen Entscheidung
als Argument überwogen, ist nebensächlich. Die Ursache der Absetzung, also
die Einmischung seitens der kirchlichen Obrigkeit in das Kirchenleben eines
Dorfes (sowohl in Ricmanje als auch in Drenova), ermöglichte eine national-
und kirchenpolitische Instrumentalisierung des Falles über das Dorf hin-
aus. Die tendenziöse Erzählung der Vorgeschichte gab die Konfliktnarrative
vor. Drenova und die Absetzung des örtlichen Priesters galten dabei als ein
weiteres Kapitel der »Nationalitätenkonflikte«, die das Verhältnis zwischen
der »italienischen« Hafenstadt und dem »kroatischen« Bistum bestimmten.
Das autonomistische La Voce del Popolo meinte etwa, dass die lokale katho-
lische Kirche »auch den Teufel« zum Pfarrer in Drenova ernennen würde,
falls dieser »ein guter kroatischer Agitator« wäre.251 So war der Tenor in
allen italienisch- und ungarischsprachigen Zeitungen der Hafenstadt. In die
städtischen Diskurse konnten die persönlichen Gründe, zum Beispiel Don
Zigars angebliche regelmäßige Kneipenbesuche und sein nichttransparen-
tes Umgehen mit dem Kirchenvermögen nicht durchdringen. Nicht ein-
mal die kroatischsprachige Presse, die an der »Entmythisierung« von Don
Zigars Opferrolle Interesse hätte haben sollen, erwähnte andere Motive als
die nationalpolitischen. Die Riječki Novi List bezeichnete Don Zigar dement-
sprechend als »Muttersöhnchen/Liebling« der italienischsprachigen, städti-
schen Elite.252 Das Narrativ der »Nationalitätenkonflikte« dominierte also
komplett die öffentliche Wahrnehmung des Konfliktes. Die Stärke der grup-
penbildenden Vorstellungen zeigte sich auch darin, wie verwundert etwa die
städtische ungarischsprachige Tageszeitung A Tengerpart darauf reagierte,
dass Drenova als ein »kroatisches« Dorf nicht nach den Erwartungen – das
heißt der nationalistischen Logik entsprechend – handelte:
»Drenova ist bekannterweise eine Untergemeinde von Fiume [Rijeka], von
deren Bewohnern wir bisher nur wussten, dass sie Kroaten sind. Jetzt stellt
sich aber heraus, dass ihr Symbol doch nicht der slawische Geier ist.«253 Von
einem kroatischsprachigen Dorf wurde erwartet, dass es den kroatischspra-
chigen Klerus unterstützt – weil der Klerus selbst »kroatisch« markiert war.
Die Ethnizität / Nationalität erscheint in diesen Vorstellungen als eine sub-
stanzielle, starre Gruppeneigenschaft. Ethnizität / Nationalität ist aber nicht
etwas, das existiert, sondern etwas, das geschieht.254 Die Ethnizität / Nationa-
250 Gouverneur Nákó meinte, dass Don Kukanić nur aus purem Neid die negativen
Gerüchte über Don Zigar verbreiten würde; vgl. Brief vom Gouverneur Nákó an den
ungarischen Ministerpräsidenten Wekerle (14. August 1908), in: MNL OL, ME, FÜ
K26, 1908/3795.
251 La Voce del Popolo, 31. Juli 1908 [übersetzt aus dem Italienischen von mir].
252 Riječki Novi List, 1. August 1908 [übersetzt aus dem Kroatischen von mir].
253 A Tengerpart, 14.
August 1908 [übersetzt aus dem Ungarischen und Hervorhebung
von mir].
254 Brubaker, Nationalism reframed, S. 19ff.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303