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233Kirchenstreit
in der Hafenstadt Fiume / Rijeka
Kampf um die Deutungshoheit über den kirchlichen Raum unterstützte
Budapest die italienische Forderung, in Fiume / Rijeka entweder ein eigenes
Bistum zu gründen oder die Stadt einem ungarischen Bistum wie etwa jenem
in Pécs / Fünfkirchen anzuschließen.275 Budapest verfolgte dabei freilich
nur politische Ziele, wie der damalige Wiener Nuntius es gut erkannte,276
denn die kirchliche Verselbstständigung der Hafenstadt war aus religiösen
und kirchlichen Interessen nicht nötig. Der ungarische Staat wollte aber
seine Macht schon seit den 1880er-Jahren auf den kirchlichen Raum in der
Hafenstadt ausdehnen. Die italienischsprachige Elite der Hafenstadt stellte
dabei eine wichtige Verbündete dar.277 Theodor Veiter weist darauf hin, dass
zwischen den »Ungarn« und den »Italienern« in der späten Habsburgermo-
narchie eine »frappante Ideenübereinstimmung« bestanden habe,278 weil
beide Völker in ihren nationalen Elitendiskursen liberale, säkulare Politik
und Ziele verfolgten, im Gegensatz zu den Südslawen, die sich als »katholi-
sche Völker« verstanden und deshalb viel selbstverständlicher innerhalb des
katholischen Österreich politisch verorten konnten.
Budapest strebte die Verstärkung der ungarischen Staatsmacht bzw. die
ungarisch-magyarische Hegemonie über die Hafenstadt an, was die Ver-
drängung der »kroatischen« Präsenz aus Fiume / Rijeka voraussetzte. Ágost
von Zichy, ein früherer Gouverneur von Fiume / Rijeka, schrieb schon 1884
hinsichtlich der umstrittenen Bistumsfrage, dass die Kirche in der Hafen-
stadt den Interessen der ungarischen Regierung zu dienen habe:
für das Ziel der Verfestigung der ungarischen Staatsidee nicht nur wünschenswert,
sondern auch nötig ist, dass in Fiume [Rijeka] auch in diesem Bereich [das heißt
in der Kirche – P. T.] nichts anderes, als der Einfluss der ungarischen Regierungen
gelten darf.279
275 Zu den Plänen siehe u. a. Notiz vom ungarischen Ministerpräsidenten Sándor
Wekerle über die Bistumsfrage (20. September 1908), in: MNL OL, ME, K26 FÜ,
1908/2158 [Der ungarische Kultus- und Bildungsminister war aber der Meinung,
dass dem Anschluss der Stadt an ein ungarisches Bistum die Gründung eines
unabhängigen Bistums für die Stadt – aus Rücksicht auf die italienischsprachige
Bevölkerung, die weder einem kroatischen noch einem ungarischen Bistum gerne
unterstellt sei
– vorzuziehen ist; vgl. Brief des ungarischen Kultus- und Bildungsmi-
nisters, Albert von Apponyi (30. Oktober 1908), in: Ebd., 1908/4230].
276 Brief des Wiener Nuntius an den Hl. Stuhl (21. September 1908), in: AAV, ANV,
b. 741, fasc. XIII, fol. 35.
277 Über die zweckrationale Allianz der italienischsprachigen, liberalen Elite der
Hafenstadt und der ungarischen Regierung siehe Volpi, Fiumani, ungheresi,
italiani, S. 51ff.
278 Theodor Veiter, Die Italiener in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie. Eine
volkspolitische und nationalitätenrechtliche Studie, München 1965, S. 9.
279 Brief des Gouverneurs Ágost von Zichy an das ungarische Kultus- und Unterrichts-
ministerium (10. Juli 1884), in: DAR, Gubernij, Pr.Sp., kut. 15, 1884/96 [übersetzt
aus dem Ungarischen von mir].
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303