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237Fazit
Liturgiesprache, mal die Absetzung eines gewollten Priesters –, die ihren
Lebensweisen und Interessen nicht entsprachen. Die kirchliche Obrigkeit
traf jeweils die Entscheidungen, aber diese wurden auch von den nationa-
listischen Diskursen mitgetragen. Die rebellierenden Dörfer identifizierten
sich nicht nach fremdbestimmten Gruppenkategorien, das heißt den Vor-
stellungen nationaler und klerikaler Kreise. Sie verfügten jedoch nicht über
die Möglichkeit und die Ressourcen, den von außen her wahrgenommenen
Inhalt ihrer kollektiven »Identität« zu bestimmen. Der Konflikt zwischen den
Narrativen des Zentrums und der Eigenständigkeit der Peripherie bestand
insofern in einem Spannungsverhältnis zwischen Anspruch und Praxis,287 die
auf der lokalen Ebene aufeinanderprallten.
In den ländlichen Konfliktfällen aus den Dörfern von Lika-Krbava und
der Fiumaner Untergemeinde Drenova wehrte sich die Bevölkerung gegen
die Einmischungen und die Erwartungen von außen. Sie lehnten die altsla-
wische Liturgiesprache (Kriviput, Perušić usw.) oder die neuen Priester (Dre-
nova) nicht aus nationaler oder religiöser Indifferenz ab, sondern als Zeichen
lokalen Selbstschutzes. Der Widerstand der lokalen Ebene in der ungari-
schen Hälfte war nicht aktiv – wie die Selbstbehauptungsversuche in Istrien
oder Ricmanje (Kapitel
3.3)
–, sondern reaktiv. Im österreichischen Ricmanje
stellten die Dorfbewohner sogar die kirchenrechtliche Abhängigkeit aktiv
infrage (Kapitel
3.2): organisatorisch, indem sie sich von der örtlichen Pfarrei
institutionell loslösen wollten und sogar aus der römisch-katholischen Kir-
che austraten, sowie inhaltlich, indem sie eine andere Liturgiesprache einfor-
derten. Im Gegensatz dazu wollten die Dörfer in Lika-Krbava oder Drenova
bei Fiume / Rijeka in der bisherigen Situation (im Sinne des »Eigenen«) ver-
bleiben, ohne politische Forderungen gestellt zu haben. Sie schützten ihre
eigene Lebensweise und kirchliche Praxis. Das »Eigene« ist – wie Alf Lüdtke
schreibt
– eine konkrete Handlung, welcher aber keine politische Motivation,
sondern eine situative Logik zugrunde liegt:
Das Eigene ist nicht das Ergebnis einer politischen Organisierung oder einer gesell-
schaftlichen Bewegung; es ist die Frucht dieser oder jener Aktivität, die einzelne Per-
sonen entwickeln, durchsetzen und aller meistens ohne großes Getöse einfach tun.288
Im ungarisch-kroatischen Teil erhob die lokale Ebene keine proaktiven
Ansprüche: Die Konflikte entstanden weder in den Dörfern von Lika-Krbava
noch im Fiumaner Hinterland infolge interethnischer Konkurrenz oder pro-
287 Hans-Christian Maner, Zentrum und Grenzregion in der Habsburgermonarchie
im 18. und 19. Jahrhundert. Eine Einleitung, in: Ders. (Hg.), Grenzregionen der
Habsburgermonarchie, S. 9–24, hier S. 18.
288 Alf Lüdtke, Eigen-Sinn. Fabrikalltag, Arbeitererfahrungen und Politik vom Kai-
serreich bis in den Faschismus. Neuauflage, Münster 2015, S. 14.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303