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252 Konfliktdynamiken
In Österreich richteten sich die »Nationalitätenkonflikte« nicht gegen den
imperialen Rahmen, sie wurden erst von diesem sowohl juristisch als auch
gesellschaftlich ermöglicht.30 Der Staat schuf sogar die juristischen und poli-
tischen Voraussetzungen für die »Nationalitätenkonflikte«, ohne sich daran
beteiligen zu wollen. Im Sinne von Carl Schmitt, der den politischen Kon-
flikt, das heißt die Freund-Feindgruppierung im internationalen (zwischen-
staatlichen) Verhältnis verortete,31 sei der österreichische »Nationalitäten-
konflikt« nicht einmal politisch gewesen. Dieser erreichte keine Intensität,
welche die Staatlichkeit (als maßgebende Einheit des Politischen32) infrage
gestellt oder zerstört hätte. Erst im Sinne von Chantal Mouffe lässt sich der
österreichische »Nationalitätenkonflikt« als politischer (innenpolitischer)
Konflikt verstehen. Sie setzt die Agonistik (statt der Antagonistik) der Poli-
tik als Bedingung für ein dynamisches, politisches Leben voraus.33 Somit
lässt sich die Politik auch in einer heterogenen (von Gegensätzlichkeiten
geprägten) Gesellschaft aufrechterhalten.34 Die »Nationalitätenkonflikte«
in der österreichischen Reichshälfte stellten insofern keine Gefahr für das
ganze Imperium dar, sondern sie waren die im Mouffe’schen Sinne gemeinte
Voraussetzung für eine lebendige politische Öffentlichkeit. Die »nationale«
Rhetorik stand als bedienbare Vorlage für unterschiedliche Interessen zur
Verfügung – daher artikulierten sich auch lokale Interessen aus dem ländli-
chen Hinterland in diesem Kontext.
Der »Nationalitätenkonflikt« war insofern in Österreich eine Selbstbe-
hauptung von unten, welche der lokalen Ebene einen allgemein verstehbaren
Kommunikationsrahmen darbot. Daher spricht Jana Osterkamp bezüglich
der österreichischen »Nationalitätenkonflikte« vom »Verteilungskampf um
die Öffentlichkeit«, das heißt um die Aufmerksamkeit in der Öffentlich-
keit.35 Ricmanje erfreute sich etwa nur deswegen einer großen Aufmerksam-
keit, weil sich die Dorfbewohner (oder zumindest die vor Ort bestimmenden
Akteure) im Narrativ der »Nationalitätenkonflikte« verorteten, obwohl die
Angelegenheit um die Errichtung einer eigenen Pfarrei lokal und banal war.
Nachdem dieses Narrativ durch die Rückkehr in den Schoß der römisch-
30 Judson, L’ Autriche-Hongrie était-elle un empire?, S. 568.
31 Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen, München 1932, S. 41ff.
32 Ebd., S. 31.
33 Mouffe, Über das Politische, S. 27ff.; dies., Agonistik. Die Welt politisch denken,
Frankfurt a. M. 2014, S. 29f.
34 Oliver Marchart, Die politische Differenz. Zum Denken des Politischen bei Nancy,
Lefort, Badiou, Laclau und Agamben, Frankfurt a. M. 2010, S. 42.
35 Jana Osterkamp, Zur Geschichte von »Vielfalt und Verteilung«. Einleitung, in: Viel-
falt und Verteilung. Regionale, nationale und konfessionelle Verteilungsfragen in
Europa. Historische Sozialkunde. Geschichte
– Fachdidaktik
– Politische Bildung 45
(2015), S. 2.
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Umkämpfte Kirche
Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Title
- Umkämpfte Kirche
- Subtitle
- Innerkatholische Konflikte im österreichischungarischen Küstenland 1890–1914
- Author
- Péter Techet
- Publisher
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-35696-4
- Size
- 15.9 x 23.5 cm
- Pages
- 310
- Keywords
- Kirche, Religion, Österreich, Kaiserzeit
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Bemerkung zu den Personen- und Ortsnamen 11
- Danksagung 13
- Vorwort 15
- 1. Einführung: Konzept, Verortung, Methode 19
- 2. Imperium, Nation und Katholizismus in der Habsburgermonarchie 59
- 3. Österreichisches Küstenland 85
- 3.1 Konflikte um die Nationalisierung des kirchlichen Raumes in Istrien 88
- 3.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Triest 126
- 3.2.1 Ricmanje: Slowenischsprachiges Dorf an der sprachkulturellen Grenze zu Triest 126
- 3.2.2 Konfliktgeschichte: Vom Kampf um die Pfarrei bis zum Kampf gegen die Kirche 130
- 3.2.3 Konfliktanalyse: Situative Identifizierungen auf mehreren Konfliktebenen 161
- 3.2.4 Historischer Kontext: Lokaler Widerstand gegen kirchliche Vereinheitlichung 165
- 3.3 Fazit: Konkurrierende und proaktive Selbstbehauptung ländlicher Katholiken 168
- 4. Ungarisch-Kroatisches Küstenland 171
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 4.1.1 Einführung der altslawischen Liturgiesprache in der ehemaligen Militärgrenze 174
- 4.1.2 Konfliktgeschichte: Lokaler Widerstand gegen die altslawische Liturgiesprache 182
- 4.1.3 Konfliktanalyse: Nationale Indifferenz oder antiserbischer Hass? 195
- 4.1.4 Historischer Kontext: Altslawische Sprache als nationales Thema 203
- 4.2 Kirchenstreit im ländlichen Hinterland der Hafenstadt Fiume / Rijeka 207
- 4.3 Fazit: Reaktiver Selbstschutz ländlicher Katholiken 236
- 4.1 Konflikte um und gegen die altslawische Liturgiesprache im Bistum Senj 174
- 5. Konfliktdynamiken: Nationale Nonkonformität und religiöse Peripherie 241
- Ausblick 257
- Quellen- und Literaturverzeichnis 263
- Archivmaterial 263
- Bibliotheken 265
- Zeitungen 265
- Digitale Sammlungen 267
- Zeitgenössische Literatur 267
- Sekundärliteratur 268
- Ortsnamen in den landesüblichen Sprachen 289
- Personen 295
- Verzeichnis von Abbildungen, Karten und Tabellen 297
- Abkürzungen 299
- Register 301
- 1. Ortsregister 301
- 2. Personenregister 303