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verlassen oder auch nur sich kritisch zu äußern. Und das, obwohl der austro-
faschistische Ständestaat gleichfalls darum bemüht war, jedwede opposi
tionelle
öffent
liche Meinung auszuschalten; so wurden im März 1933 die Beschlagnahme
von Presseerzeugnissen und die Vorzensur durchgesetzt,126 »Säuberungen« von
Arbeiterbüchereien und Bibliotheken standen auf der Tagesordnung: Neben Pau-
schalverboten gesammelter Schriften wurden einzelne Werke verboten, ebenso
alle Werke, die den italienischen Faschismus kritisierten. Interna
tionale Beach-
tung fanden diese Säuberungsak tionen durch einen Brief, den Fritz Brügel, bis
Februar 1934 Leiter der sozialwissenschaft lichen Studienbibliothek der Wiener
Arbeiterkammer, an den P. E. N.-Kongress richtete, der im Juni 1934 in Edin-
burgh tagte: Raoul Auernheimer, Mitglied der österreichischen Delega tion,
»bestritt die Enthüllungen nicht, sagte aber […]: ›Sie können von österreichi-
schen Delegierten, die in ihr Land zurückkehren wollen, nicht verlangen, daß
sie ihre Regierung kritisieren.‹ Womit das kulturpolitische Klima in der Heimat
genügend gekennzeichnet war.« 127 Nach dem Februar 1934 wurden alle Organisa-
tionen der Sozialdemokratie zerschlagen, und Österreich wurde für viele poli-
tisch aktive linke Schriftsteller zu einem gefähr lichen Terrain. Hugo Sonnen-
schein, Ernst Fischer, Robert Neumann und Josef Luitpold Stern entschieden
sich dazu, Österreich zu verlassen. Sie und andere, nicht unmittelbar politisch
Engagierte sowie viele der Kulturschaffenden, die 1933 aus Deutschland nach
Österreich gefüchtet waren,128 erkannten rechtzeitig, »dass die Dollfuß-
Straße
nur bei Hitler münden konnte. […] Das Gefühl einer temporären Bleibe, das
Österreich den Emigranten vermittelte, kommentierte Karl Kraus […] mit der
ihm eigenen Lakonie: ›Die Ratten betreten das sinkende Schiff.‹« 129
Anfang der 1930er Jahre wurde Lothar die Ehre zuteil, von Karl Kraus in der
Fackel lobend erwähnt zu werden. Lothar bewunderte Kraus; dass er publizis-
tisch so vehement gegen seinen Bruder Hans vorging, schien Lothars Verehrung
zunächst keinen Abbruch zu tun.130
126 Vgl. Neue Freie Presse (Abendblatt), 8. 3. 1933, S. 2 f. sowie 11. 3. 1933, S. 3.
127 Horst Janka: Zur Literatur- und Theaterpolitik im »Ständestaat«, S. 502.
128 »Insgesamt haben weit über 2000 im weiteren Sinn literarisch wirkende Männer und Frauen
Deutschland verlassen. Unter ihnen befanden sich fast alle interna
tional bekannten Autoren.«
Erwin Rotermund: Deutsche Literatur im Exil 1933 – 1945, S. 187.
129 Alfred Pfoser und Gerhard Renner: »Ein Toter führt uns an!«, S. 225 f.
130 Lothars Meinung zu Karl Kraus drehte sich dann allerdings gut 30 Jahre später. In seiner Auto-
biographie erregt er sich über die »augenblick
liche Überschätzung der Person und der Schrif-
ten von Karl Kraus«, die »fast dieselben extremen Ausmaße wie sein Totschweigen während
der Epoche seiner lebendigsten Wirksamkeit« annehme (EL: Das Wunder des Überlebens,
1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor
sind«76
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Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ernst Lothar
- Untertitel
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Autor
- Dagmar Heißler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 484
- Schlagwörter
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478