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voneinander und dem Leben; an einem Tisch mit Wein und den Resten einer
Mahlzeit wurden sie gefunden, Hand in Hand.« 165
Die Mühle der Gerechtigkeit nimmt sich also des Themas Euthanasie an; die
Zeitungsnotiz ist zwar Motiv und auch Handlungsfaden des Romans, des-
sen Ende weicht jedoch von der wahren Begebenheit ab: Der gestrenge und
überaus korrekte Salzburger Richter Anton Haushofer erfährt, dass seine Frau
Pauline unheilbar an Krebs erkrankt ist. Das Ehepaar beschließt, gemeinsam
aus dem Leben zu scheiden, Anton verabreicht Pauline eine töd liche Dosis des
Schlafmittels Veronal; das Medikament versagt bei ihm aber die Wirkung: Er
erwacht nach Bewusstlosigkeit neben seiner toten Frau. Haushofer wird des
Mordes angeklagt und vor Gericht gestellt, die Geschworenen sprechen ihn frei.
Der Inhalt des Romans war auslösendes Moment für ein Zerwürfnis zwischen
Ernst Lothar und seinem Vater. Josef Müller litt selbst an einer unheilbaren
Krankheit und großen Schmerzen, hätte aber nie seinem Leben auf diese Art
und Weise ein Ende bereitet.166 Die Sterbehilfe schien sich mit seinen mora-
lischen Vorstellungen nicht vereinbaren zu lassen. Und das, obwohl er ein glü-
hender Verehrer Karl Bindings (1841 – 1920) war. Dieser deutsche Professor für
Strafrecht, Strafprozessrecht und Staatsrecht setzte sich u. a. mit der Frage der
Euthanasie auseinander. In seinem zusammen mit dem Freiburger Ordinarius
für Psychiatrie Alfred Hoche verfassten und 1920 posthum erschienenen Buch
Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens befürwortet er die aktive
Sterbe hilfe »für schwer kranke, bewusstlose oder geistig behinderte Patienten,
bei denen der Sterbeprozess noch nicht eingesetzt« 167 habe. Die Euthanasie dürfe
aber keinesfalls gegen den Willen des Betroffenen durchgeführt werden. Diese
Einwilligung sei auch Voraussetzung dafür, dass diejenigen, welche Sterbehilfe
leisten, straffrei ausgehen sollten. Diese Doppelschrift der beiden Professoren
»erzielte in der Euthanasie- Debatte bis 1933 die größte Wirkung« 168 – und übte
eine solche wohl auch auf Ernst Lothar aus.
Dass er mit diesem Roman eine Art Plädoyer für die Sterbehilfe hielt, konnte
oder wollte ihm sein Vater nicht verzeihen: »Daß mein Sohn diesen Freibrief
auf Mord geschrieben hat, ist die bitterste Enttäuschung, die ich in meinem an
165 EL: Das Wunder des Überlebens, S. 56.
166 An welcher Krankheit Josef Müller litt, erwähnt Ernst Lothar nicht.
167 Eva Schumann: Dignitas – Voluntas – Vita, S. 20.
168 P. G. Winfried Hochgrebe: Legalisierung der aktiven Sterbehilfe in der Bundesrepublik
Deutschland?, S. 87.
1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor
sind«84
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Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ernst Lothar
- Untertitel
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Autor
- Dagmar Heißler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 484
- Schlagwörter
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478