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künstlerisch-
politisches Bekenntnis zur jeweiligen österreichischen Gegenwart«
und »als erstaun lich aussagekräftige, dem jeweiligen historischen Horizont ent-
sprechende Österreich-
Deutung[]« 200. Die Aufführung des Dramas als »inoffi-
zieller Staatsakt« wird auch durch die Gästeliste des Abends veranschau licht:
Der Vorstellung wohnte neben dem Bundespräsidenten Miklas und Kardinal
Innitzer eine Reihe von Regierungsmitgliedern bei, u. a. Bundeskanzler Engelbert
Dollfuß, Vizekanzler Emil Fey, Kurt Schuschnigg – damals sowohl Justiz- als
auch Unterrichtsminister und seit einer der Proben zu dem Stück persön lich
mit Lothar bekannt – sowie der Sicherheitsreferent der Tiroler Landesregie-
rung, Richard Steidle.201
Die Kritiker lobten »Ernst Lothar, der mit starkem Enthusiasmus, mit äußers-
ter Sorgfalt und vielem Verstehen dramatur
gische Arbeit leistet und als Regisseur
eine glänzende Aufführung zustandebringt« 202. Einzig die Neue Zeitung, die seit
1933 vermehrt na tionalsozialistische Tendenzen verfolgte,203 äußerte sich über
Lothars Arbeit uneingeschränkt negativ, wobei sie Grillparzers Stück lobte und
an Lothar vorwiegend dessen jüdische Herkunft bemängelte. Auch thematisierte
sie die Frage, wie Lothar den Posten als Gastregisseur bekommen haben mochte:
Grillparzer wird aufgeführt – und wer tritt vor den Vorhang, um für den Beifall zu
danken? Ein Jude aus Brünn. Zweifellos: das ist aufreizend, das ist revolu
tionierend,
das ist nicht länger erträg
lich. […] Wir brauchen uns die Heroen unserer Poesie nicht
von jüdischen Faiseuren vorsetzen zu lassen. […]
Es ist völlig unverständ lich, warum sich die Direk tion des Burgtheaters gerade
Herrn Ernst Lothar verschreibt, wenn sie uns ein Stück von Grillparzer vorführen
will. Herr Ernst Lothar ist nicht einmal Berufsregisseur: er ist ein schlechter Literat,
nichts weiter: ein Literaturkonfek tionär übelster Sorte: wie er zu Grillparzer kommt –
und überhaupt zum Regieführen im Burgtheater, das ist ein unergründ liches Mys-
terium […]. Man müßte wirk lich wissen, wie es da zugegangen ist und was sich da
abgespielt hat. War es so, daß Herr Röbbeling in seiner Kanzlei angestrengt und voll
200 Hilde Haider- Pregler: »König Ottokars Glück und Ende«, S. 195.
201 Vgl. Neue Freie Presse, 28. 10. 1933, S. 8 f., hier S. 8; Reichspost, 2. 11. 1933, S. 2. EL: Das Wun-
der des Überlebens, S. 99 f.
202 Neue Freie Presse, 2. 11. 1933, S. 1 ff., hier S. 1. Vgl. auch Kleine Volks- Zeitung, 1. und 2. 11. 1933;
Reichspost, 2. 11. 1933, S. 1 f.; Das Kleine Blatt, 2. 11. 1933, S. 10; Wiener Zeitung, 2. 11. 1933, S. 4 f.;
Neues Wiener Tagblatt, 4. 11. 1933, S. 16; Wiener Sonn- und Montags-
Zeitung, 6. 11. 1933, S. 9;
Wiener Bilder, 12. 11. 1933, S. 10, Brünner Tagesbote, 6. 12. 1933, S. 7.
203 Vgl. Kurt Paupié (Hg.): Handbuch der österreichischen Pressegeschichte. 1848 – 1959. Bd. 1,
S. 65 ff.
»Des Burgtheaters Sonntagsregisseur« 93
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ernst Lothar
- Untertitel
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Autor
- Dagmar Heißler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 484
- Schlagwörter
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478