Seite - 119 - in Ernst Lothar - Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
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mutig, da nach 1936 die nun erlaubten na tionalsozialistischen Theatervereine
massiv gegen den »völlig verjudeten Wiener Theaterbetrieb« 113 hetzten. Der Pre-
miere der Jüdin von Toledo in der Josefstadt blieben Regierungsfunk
tionäre und
die hohe Geist
lichkeit, die sonst Grillparzer-
Premieren den offiziösen Charakter
einer Staatshandlung zu geben pfegten, fern.114 Wobei angefügt werden muss,
dass Lothar selbst Grillparzers Drama nicht unter dem Aspekt irgendeiner
»Rassenproblematik« gesehen haben wollte.115 Da er die Jüdin von Toledo vor-
wiegend als »Tragödie der Versuchung« auslegte, betonte er von Anfang an das
Problematische der könig
lichen Ehe, machte aus dem Stück ein »Kammerspiel
der Leidenschaften, keine Hof- und Staatsak
tion mit einem kaiser lichen Fun-
dus« 116. Dies, so die dem Premierenabend beiwohnenden Rezensenten,117 könne
jedoch »nur bis zu dem Punkt gelingen, wo ihm der Dichter in den Arm fällt
mit dem Konfikt zwischen Staatsraison und den privaten Leidenschaften eines
Herrschers« 118. In den Kritiken wurde auch auf die Aktualität und Modernität
der Jüdin von Toledo hingewiesen, manche meinten, dass es besser gewesen wäre,
mit der Aufführung noch zu warten, »um das Drama vor einem allzu aktuellen
Mißverstehen zu schützen« 119. Missverständnisse und Angriffe gab es dennoch.
Für die Rahel wählte Ernst Lothar, der »für seine sorgfältige Besetzungspolitik
bekannt« war, Kitty Stengel: »pikanterweise eine aus Norddeutschland stam-
mende Schauspielerin ›hellen Typs‹« 120. Alfonso hingegen wurde von Ernst
Deutsch verkörpert, der aufgrund seiner jüdischen Herkunft in Deutschland
wegen der »Nürnberger Rassengesetze« mit Spielverbot belegt war. Für die rechts-
gerichtete Presse ein Affront: »Wollte Jude Lothar einen ganz großen Erfolg,
mischte er die Rassen. Die arische Schauspielerin Kitty Steng[e]l mußte die
113 Vgl. Evelyn Schreiner: Na tionalsozialistische Kulturpolitik in Wien 1938 – 1945, S. 46 f.
114 Vgl. Edda Fuhrich- Leisler: Vom Wunder des Überlebens, S. 215.
115 Vgl. EL: »Jüdin von Toledo« nicht klassizistisch. In: Neues Wiener Journal, 7. 2. 1937, S. 27.
116 Neues Wiener Journal, 11. 2. 1937, S. 14.
117 Kritiken zu Ernst Lothars Die Jüdin von Toledo u. a. von Rudolf Holzer in der Wiener Zeitung,
von Oskar Maurus Fontana im Wiener Tag, von Piero Rismondo im Echo und von Siegfried
Geyer in der Stunde (alle vom 12. 2. 1937), von Alexander Földes im Wiener Tagblatt und im
Theater Tagblatt (jeweils vom 14./15. 2. 1937); Der Morgen, 15. 2. 1937; Neues Wiener Journal,
11. 2. 1937, S. 14; Wiener Bilder, 21. 2. 1937, S. 10; Neue Freie Presse, 11. 2. 1937, S. 7 und 12. 2. 1937,
S. 8; Reichspost, 12. 2. 1937, S. 10.
118 Neues Wiener Journal, 11. 2. 1937, S. 14.
119 Der Wiener Tag, 12. 2. 1937.
120 Nicole Metzger: Zur Aufführungsgeschichte von Grillparzers »Die Jüdin von Toledo«, S. 117.
1935 – 1938: Theater in der Josefstadt 119
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ernst Lothar
- Untertitel
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Autor
- Dagmar Heißler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 484
- Schlagwörter
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478