Seite - 126 - in Ernst Lothar - Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
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mich wird retten können.« 156 Nur zwei Tage danach hatte Ernst Lothar alle
Pläne zum Raimund-
Theater endgültig ad acta gelegt:
Mir ist schon sehr bang, leider. Gestern den ganzen Tag »Posi
tionen gelöst«, d. h. das
Raimundth[eater], welches unmittelbar vor dem Abschluß mit mir stand (mit Gyimes
hatten wir uns noch Sonntag abend geeinigt) definitiv abgesagt. Gründe: […] Hietel
ließ mich wissen, daß der Staatsrat […] Jury (der Stellvertreter des Seyß- Inqu[art])157
Präsident der »Deutschen Bühne« u. wegen der Konz[essions]Erteilung an die D. B.
berufen sei. Das genügt mir. Auch ergab eine direkte Anfrage, die ich bei Zern[atto]
unternahm (u. die unbeantwortet blieb) u. bei der Kunststelle (die sich herumwand),158
daß man die Leute dort einziehen lassen will. Folg
lich diktierte ich ein Aktenstück
für das ewige Gedächtnis u. erklärte schrift lich, daß ich »die mir angebotene Direk-
tion des Raim.th.« nicht zu übernehmen wünsche. Das Gegenteil, glaube ich, wäre
ein böser Fehler gewesen, denn der Groll wäre nicht nur am Raim.th., sondern auch
an der Josefstadt ausgelassen worden, sofern die überhaupt noch in Betracht kommt.
Jetzt nicht im Vordergrunde stehen, sondern ruhig abwarten, ist wohl das einzig Ver-
nünftige, was unsereiner jetzt tun kann […].159
Doch auch der Versuch, ruhig abzuwarten und nicht im Vordergrund zu stehen,
scheiterte aufgrund der sich überstürzenden Ereignisse: »Am 7. und 8. März g
lich
Wien einem Hexenkessel. […] Scharenweise durchzogen Hitler-
Anhänger die
Stadt, pöbelten Passanten an, machten unfätige Bemerkungen und nahmen
gegen jüdische Geschäfte Stellung.« 160 Robert Breuer, der als freier Journalist
u. a. für den Brünner Tagesboten und den Pressburger Grenzboten das Gesche-
hen in Wien beobachtete, schreibt in seinem Erlebnisbericht aus den Tagen des
Anschlusses im März 1938:
156 Brief von EL an AG. Wien, 6. März 193[8]. WBR, ZPH 922a.
157 Hugo Jury, seit 1931 Mitglied in der NSDAP (dafür nach dem Verbot der Partei 1933 mehrmals
in Haft), wurde nach der von Hitler in Berchtesgaden von Schuschnigg erzwungenen Regie-
rungsumbildung zum Staatsrat und Stellvertreter Seyß-
Inquarts im Volkspolitischen Referat
der Vaterländischen Front. Nach dem ›Anschluss‹ Österreichs an Nazideutschland war er
zunächst Bundesminister für Soziale Verwaltung und schließ
lich Gauleiter von ›Niederdonau‹.
Vgl. Klaus-
Dieter Mulley: Niederdonau: Niederösterreich im »Dritten Reich« 1938 – 45, S. 80.
158 Zur 1934 von Hans Brecka gegründeten Österreichischen Kunststelle siehe Friedbert
Aspetsberger: Literarisches Leben im Austrofaschismus, S. 59.
159 Brief von EL an AG. Wien, 8. März [1938]. WBR, ZPH 922a.
160 Robert Breuer: Nacht über Wien. Ein Erlebnisbericht aus den Tagen des Anschlusses im März
1938, S. 24. 1935 – 1938: Theater in der
Josefstadt126
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ernst Lothar
- Untertitel
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Autor
- Dagmar Heißler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 484
- Schlagwörter
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478