Seite - 143 - in Ernst Lothar - Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
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Lothar ein Visum fĂĽr vier Monate, als Grund des Aufenthalts in Frankreich
wurden »vacances« (Ferien/Urlaub) angegeben:33
Unsere trĂĽbe erste Sta
tion nähert sich dem Ende […]. Ob wir es in Frankreich besser
haben werden, weiß ich nicht; es müßte, vom jetzigen Nullpunkt- Zustand […] und
von der […] Monotonie der hinhaltenden, halb- und ganz negativen Nachrichten,
eigent
lich leicht sein. […] Wir gehen jetzt auf ein paar Tage nach Paris, dann über
den Juli irgendwohin,34 dann wohl wieder nach Paris zurĂĽck. Hoffent lich findet sich
dort was fĂĽr uns beide oder doch fĂĽr einen.35
Am 24. Juni 1938 meldeten sich Lothar und die Seinen am Spiezer Polizei-
Inspektorat nach Paris ab, am 29. Juni überschritten sie die franzö
sische Grenze.
Nachdem sie kurz im Hotel Colisée, an der Ecke Champs Élysées gelegen, abge-
stiegen waren und Lothar im Juli nochmals in die Schweiz gereist war, zogen sie
in eine kleine Wohnung in die Rue Debrousse im 16. Arrondissement. Anfang
August 1938 wurde jeweils eine »carte d’identité« für Ernst Lothar, Adrienne
Gessner und Johanna MĂĽller ausgestellt, die bis zum 2. November gĂĽltig war.36
Jeder Flüchtling, der sich länger als zwei Monate in Frankreich aufhalten wollte,
musste spätestens acht Tage nach der Einreise bei der zuständigen Polizeibehörde
einen Ausweis beantragen (carte d’identité). Die befristete Empfangsbestätigung
(récépissé) des Antrags entsprach einer provisorischen Aufenthaltsgenehmigung.37
Ende Oktober 1938 erhielt Lothar zwei Empfehlungsschreiben des Ministère des
Affaires étrangères an die Polizeipräfektur Paris, Service des Étrangères, worin
darum angesucht wird, Lothars »récépissé« in eine »carte d’identité définitive«
umzuwandeln. Lothar zähle zu den besten und aktivsten »propagandistes de la
pensée française et, à ce titre, avait reçu d’élogieuses félicita
tions de nos repré-
sentants diplomatiques« 38. Die Unterschrift Pierre Bressys, Chef des Informa-
tions- und Pressediensts sowie Bonnets Kabinettschef, unter dem Schreiben, das
auf Empfehlung von Jean Giraudoux verfasst wurde, dĂĽrfte ihre Wirkung nicht
verfehlt haben: Lothars Identitätsausweis wurde bis zum 12. Juni 1939 verlängert.
33 Vgl. Ă–sterreichischer Reisepass Dr. Ernst Lothar, ausgestellt am 3. Februar 1930. WBR, ZPH 922a.
34 Den Juli 1938 ĂĽber hielt sich Lothar wieder in Einigen am Thunersee bei Hans auf.
35 Brief von EL an Carl Zuckmayer. Einigen, 10. Juni 1938. DLA, HS000243798.
36 Récépissé de demande de carte d’identité. Paris, 2. August 1938. WBR, ZPH 922a.
37 Vgl. dazu Michaela Enderle- Ristori: Kontrolle und Überwachung der deutsch- österreichischen
Emigra tion durch die franzö sische Sûreté Na tionale, S. 194 f.
38 Empfehlungsschreiben des Ministère des Affaires Étrangères. Paris, 30. Oktober 1938. WBR,
ZPH 922a.
Emigrant 143
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ernst Lothar
- Untertitel
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Autor
- Dagmar HeiĂźler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 484
- Schlagwörter
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478