Seite - 173 - in Ernst Lothar - Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
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in Paris ein, und als Hitler zehn Tage darauf die Stadt besichtigt, kreuzt sich sein
Weg zufällig mit dem Franziskas:
Ich hätte die Gelegenheit gehabt! Ich habe sie nicht benützt. Ich kann niemandem
mehr einen Vorwurf machen. Ich bin ganz genau so feig! Im ersten Moment war
ich so fassungslos, daß ich kaum wußte, was geschah. Ein Schock. Und ich hatte
keine Waffe, kein Stein lag da, nichts – das ist meine einzige Entschuldigung. Aber
ich hatte einen Mund! Ich hätte schreien können: »Nieder mit Hitler!« Oder irgend
etwas. Von den anderen habe ich es immer verlangt. Ich habe es selbst nicht getan.185
Anfang Juli wird Pierre in das Spital eingeliefert, in dem Franziska arbeitet,
Mitte des Monats erliegt er seinen Verletzungen. Mit Pierres Tod enden die
Tagebuchaufzeichnungen der Hauptfigur, in einem »Anhang« wird ein Brief
Franziskas abgedruckt, den sie aus dem Gefängnis schreibt. Beeindruckt von
Herschel Grynszpans Tat, hat sie einen SS-Mann erschossen, der also stellver-
tretend für Hitler sterben muss. Franziska Langer wird zum Tod verurteilt und
am 13. August 1940 hingerichtet, berichtet eine Notiz des Figaro, die sich neben
dem Abschiedsbrief Franziskas am Ende des Romans befindet.
Der Brief Franziskas datiert auf den 13., die Zeitungsnotiz auf den 21. August,
die Tagebuchaufzeichnungen beschreiben den Zeitraum von Anfang April 1938
bis Ende Juli 1940. Es handelt sich also teilweise um jenen Zeitabschnitt, den
Lothar selbst in der franzö
sischen Hauptstadt verbrachte.186 Lothars Protagonis-
tin ist als »Arierin« allerdings nicht gezwungen, Österreich zu verlassen, sondern
lässt es freiwillig hinter sich,187 sie wird »weder 1939 noch 1940 interniert« und
bleibt »letztend lich durch Heirat mit einem Franzosen von vielen der typischen
Härten des Exillebens in Frankreich verschont« 188.
Auffallend ist die »schonende Darstellung des austrofaschistischen Regimes« in
dem Roman, die einerseits natür lich damit erklärbar ist, dass Lothar ein Rädchen
in dessen kulturpolitischem Apparat war,189 sich andererseits aber auch daraus
ergibt, dass es ihm vorrangig um eine deut liche Abgrenzung zwischen Österreich
185 EL: Die Zeugin. Pariser Tagebuch einer Wienerin. Wien: Danubia Verlag 1951, S. 528 f.
186 Es gibt einige Parallelen zwischen den Schilderungen der Pariser Ereignisse in Lothars Auto-
biographie Das Wunder des Überlebens (S. 135 – 141) und in seinem Roman Die Zeugin.
187 Vgl. EL: Die Zeugin, S. 37.
188 Jörg Thunecke: »Es gibt keinen Kompromiß mit dem Unrecht«, S. 294.
189 In einem Bericht des amerikanischen Kulturoffiziers Henry C. Alter wird diesbezüg lich fest-
gehalten: »Ernst Lothar never seems to have joined any particular political party. He has not
politically identified with the Schuschnigg regime, although he knew Schuschnigg well. He
Eine »Österreichische Bühne« in New York 173
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ernst Lothar
- Untertitel
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Autor
- Dagmar Heißler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 484
- Schlagwörter
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478