Seite - 245 - in Ernst Lothar - Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
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Und wenn das pessimistisch klingt, so ist das Optimistische trotzdem nicht ohne
Grundlage. Die Ergebung, die stille, klaglose Bereitschaft, weiterzuleben, zu arbei-
ten, es sich mit den Mächten des Schicksals zu »richten«, sind wie unzählige andere
rührend. Es geht jämmer lich, aber es geht. Das geistige Interesse übertrifft das der
Mehlspeis-
Ära. Noch nicht klar und sichtbar, aber unterirdisch spürt man einen Wil-
len. Ich hoffe, daß er stark genug sein wird. Auch sauber genug.
Mein Job ist anstrengend, aber ebenso anregend. Von 9 bis ¾ 1, von ½ 3 bis 6. Ich
pendle zwischen Wien und Salzburg, wo die Festspiele am 1. August gehalten werden.
Wir wohnen, provisorisch, bis wir eine private Unterkunft gefunden haben, was höl-
lisch schwer ist, hier im Hotel. […] Aber das alles sind Worte, ebenso gespenstisch
leer, wie das, was die Augen sehen. […] Sobald ich den Eingewöhnungs- Chock [sic]
überwunden habe, schreibe ich mehr und vielleicht anschau licher.7
Lothar begann zügig mit seiner Arbeit. Die Dienststelle der Informa tion Services
Branch (ISB) der amerikanischen Armee war in der Seidengasse 13 im siebenten
Wiener Gemeindebezirk.8 Zu seinen Agenden gehörten die Entnazifizierung,
der Wiederaufbau des kulturellen Lebens in der US-Zone Österreichs 9 sowie
die Verbreitung amerikanischer Theater- und Musikstücke. 1946/47 galt das
Hauptaugenmerk der Entnazifizierung. Lothar konnte sich in acht Fällen bei
insgesamt 673 Mitwirkenden mit seiner Meinung durchsetzen, und zwar bei
Herbert von Karajan,10 Esther Réthy, Elisabeth Schwarzkopf, Karoline Reinhardt,
Julius Patzak, Hanns Kurth, Heinz Moog und Elfriede Ott (wobei nicht geklärt
ist, warum Ott, Ernst Waldbrunns Frau und spätere Lebensgefährtin von Hans
Weigel, mit Auftrittsverbot belegt wurde).11 Die Entnazifizierung Paula Wesselys
ging schnell vonstatten. Lothar hatte es ihr nie vergessen, dass sie die Einzige
7 Brief von EL an Friedrich Torberg. Wien, 23. Juni 1946. WBR, ZPH 588. Vgl. dazu auch Brief
von EL an Raoul Auernheimer. o. O., 8. September 1946. Zitiert in Donald G. Daviau und Jorun
B. Jones: Ernst Lothar, S. 347.
8 Lothars Büro befand sich im Nebenhaus, sein Vorgesetzter war Oberst Lawrence K. Ladue,
der später im Koreakrieg an einem Herzinfarkt starb (vgl. Bud Hannings: The Korean war. An
Exhaustive Chronology. Jefferson, NC: McFarland & Company 2007, S. 723).
9 In Wien zählten die Bezirke 7, 8, 9, 17, 18 und 19 zum US-amerikanischen Sektor, daneben
gehörten Oberösterreich süd lich der Donau und west
lich der Enns sowie Salzburg und das
steirische Salzkammergut zur US-amerikanischen Zone.
10 Richard Osborne: Herbert von Karajan, S. 283. – Zu Lothars teilweise widersprüch lichem Vor-
gehen bei der Entnazifizierung Karajans siehe Oliver Rathkolb: Politische Propaganda, S. 369 ff.
Vgl. auch EL: Das Wunder des Überlebens, S. 309 – 315.
11 Oliver Rathkolb: Ernst Lothar, S. 288.
»Als Allgewaltiger in Wien«: Amerikanischer Kulturoffizier 245
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ernst Lothar
- Untertitel
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Autor
- Dagmar Heißler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 484
- Schlagwörter
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478