Seite - 253 - in Ernst Lothar - Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
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degrees‹. Vermut lich um den Wienern die Schönheiten der atonalen Musik
noch näher zu bringen; sie verlangen ja nach nichts so wild wie nach Aaron
Copland oder Samuel Barber.« 57 Ernst Lothar war jedenfalls bestrebt, Torberg
ein anschau liches Bild dessen zu zeichnen, was ihn bei einer Rückkehr nach
Österreich erwarte:
Um es in wenigen Worten zusammenzufassen: Zuzug ist grundsätz
lich unerwünscht.
Man wird ihn vielleicht nicht gerade hindern, aber fördern wird man ihn gewiss nicht.
War der Na
tionalsozialismus die Verschwörung zur Austreibung des Talentes, so sind
seine Nachfolger ein Provinzverein zur Verhütung der Rückkehr des Talentes. Die
Klagenfurter und die Kremser wünschen unter sich zu bleiben, um nicht bekennen
zu müssen, wie mittelmäßig sie sind. Das ist keine Vermutung, das habe ich nun
an vielen Beispielen beweishaft erfahren. Zunächst einmal wissen die Klagenfurter
und Kremser überhaupt nicht, wen sie vertrieben haben. Zum Beispiel: bei meinem
ersten Zusammentreffen mit dem Bürgermeister von Wien, Herrn General Körner,
einem aufrechten weißbärtigen alten Herrn, der zwischen den Worten altert, die er
sagt, fand folgender Dialog statt:
Der Bürgermeister: »Lothar, Lothar? Wo tu i Ihnen gleich hin?«
Ich: »Ich war Direktor des Theaters in der Josefstadt.«
Der Bürgermeister: »So? Josefstadt? Da hab ich gestern abend ein miserables Stück
g’sehn. Aber dafür war ich heut früh bei etwas wirk lich sehr Gutem – einer Dörr-
gemüseausspeisung.«
Unquote.
Als ich dem Präsidenten des Presseklubs, Herrn Doktor Glaser,58 nahelegte, dass
eine Anzahl bedeutender Schriftsteller, deren Namen ich nannte, unter Umstän-
den bereit wären, nach Wien zurückzukehren, erhielt ich zur Antwort: »Jeder kann
zurückkommen.« Auf meine Erwiderung, dass es sich hier nicht um jeden, sondern
um Männer handle, die in jedem Sinne Ausnahmen seien, wurde ich belehrt, dass
vermied, ›die Lotharsche Hausmachtspolitik‹ fortzusetzen – soweit nicht amerikanische Theater-
stücke direkt betroffen waren. Entnazifizierungsfragen hatte er überhaupt keine mehr zu klären«
(Oliver Rathkolb: Politische Propaganda, S. 426).
57 Brief von EL an Friedrich Torberg. Wien, 22. November 1947. WBR, ZPH 588.
58 Hugo Glaser, der von 1938 bis 1945 im Untergrund gelebt hatte, gründete 1945 in Wien den
Österreichischen Presse-
Club am Schubertring und die österreichisch-
sowjetische Gesellschaft.
Vgl. dazu Sandra Paweronschitz: Zwischen Anspruch und Anpassung. Journalisten und der
Presseclub Concordia im Dritten Reich, S. 66.
»Als Allgewaltiger in Wien«: Amerikanischer Kulturoffizier 253
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ernst Lothar
- Untertitel
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Autor
- Dagmar Heißler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 484
- Schlagwörter
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478