Seite - 256 - in Ernst Lothar - Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
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man sich, hier mitzuarbeiten, weil die Sehnsucht nach dem Verlorenen einen über-
wältigt, dann hat man sich, ein für allemal, mit drei Dingen abzufinden. Erstens, dass
man unerwünscht ist, oder sich seine Erwünschtheit bestenfalls neu zu erwerben hat;
zweitens, dass man sich bei sich selbst nicht sehr wohl fühlen wird, wenn man nicht
ständig auf dem haarscharfen Seil balanciert, das man sich zu ziehen hat; drittens, dass
die Lebensbedingungen, also ganz einfach Wohnen, Essen, Heizen, Entfernungen
überwinden[,] katastrophal sind und bleiben werden. Wir, die unter dem Schutze
der Armee stehen, führen ein Leben vergleichsweise paradie sischer Bequem
lichkeit.
Aber das sind eben nur wir, die Sieger, vor denen sich mit oder ohne Überzeugung
die Rücken beugen und die Vorräte der Armee auftun. Es wäre, andrerseits, falsch zu
sagen, dass die »indigenous« people nicht trotz alledem bestaunen und sogar bewun-
dern, [zu] was wir Zugrasten imstande sind. […]
Wenn Sie also kommen, müssen Sie sich darüber klar sein, dass Sie als Schrift-
steller neu anzufangen haben werden. Das kann Sie nicht erschrecken, da Sie ein so
ausgezeichneter Schriftsteller sind. Ob das andere nicht schreckt, das werden Sie mir
hoffent
lich bald sagen.62
Die »männ lich- herbe Trostlosigkeit« 63, die aus Lothars Briefen sprach, konnte
Torberg auf lange Sicht dennoch nicht abschrecken. 1951 kehrte er nach Wien
zurück, arbeitete für den Kurier und den Sender Rot-
Weiß- Rot, von 1954 bis
1965 gab er die kulturpolitische Zeitschrift Forum heraus. Auch Ernst Lothar
selbst ließ sich von Widerständen nicht abhalten, seine Meinung war: »Will
man gegen Nazismus, Konservatismus, reak
tionär, etc. kämpfen, […] dann soll
man kommen und hier bleiben; wenn nicht, dann soll man nicht bleiben und
nicht kommen.« 64
Vielleicht war diese Haltung mit ein Grund, warum Ernst Lothars Berufung
zum Direktor des Wiener Burgtheaters erneut scheiterte.65 Der Schauspieler
Raoul Aslan, der das Haus – mit den Ausweichquartieren Ronacher und Akade-
mietheater – ab April 1945 geleitet hatte, wollte oder musste nach einem leichten
Schlaganfall die Leitung des Theaters abgeben.66 Ein Jahr lang wurde es von
Erhard Buschbeck, der hier bereits seit 1918 arbeitete, interimistisch geleitet, er
wollte aber nicht offizieller Direktor werden. Im Februar 1947 sandte der Leiter
62 Brief von EL an Friedrich Torberg. [Wien,] 3. November 1946. WBR, ZPH 588.
63 Brief von Friedrich Torberg an AG. [New York,] 25. November 1946. a. a. O.
64 Vgl. Brief von AG an Friedrich Torberg. [Wien,] 17. April 1947. a. a. O.
65 Vgl. dazu auch Hilde Haider- Pregler: »Das Burgtheater ist eine Idee …«, S. 94 – 98.
66 Lucian O. Meysels: Die Welt der Lotte Tobisch, S. 54. 1946 – 1950:
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Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ernst Lothar
- Untertitel
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Autor
- Dagmar Heißler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 484
- Schlagwörter
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478