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Max Reinhardt vollzog eine Vierteldrehung im Grabe. Seine jahrzehntealte »Jeder-
mann«-Inszenierung vor dem Salzburger Dom, die aus Gründen der Pietät und Attrak-
tion noch immer unverändert beibehalten und zuletzt nur von seiner W[it]w[e] Helene
Thimig leicht abgestaubt wurde, wird […] durch eine nagelneue ersetzt. Regisseur:
Ernst Lothar […].34
So und teilweise noch unfreund licher wurde Lothars Übernahme der Jedermann-
Regie kommentiert. Dies lag auch an der Art und Weise, wie Helene Thimig
als Regisseurin »abserviert« worden war.35 Nach der »Kritik an der alljähr-
lichen musealen Aufbereitung der Moralität und dem sinkenden Publikums-
interesse« beschloss das Festspieldirektorium, den Jedermann 1952 entweder
»in einer von Reinhardt losgesagten Form« spielen zu lassen oder aber ihn
ganz abzusetzen.36 Um Letzteres zu vermeiden, erklärte sich Lothar im Herbst
1951 zu einer Neuinszenierung bereit.37 Helene Thimig wurde von der Leitung
der Festspiele eine Rolle in dem Stück angeboten. Sie intervenierte darauf-
hin im Unterrichtsministerium und »lancierte Gerüchte über die pietätlose
Modernisierung von Reinhardts Erbe«, sogar von »Reinhardt- Schändung«
wurde gesprochen.38 Viele Schauspieler sagten infolgedessen ihre Mitwir-
kung ab, von »Boykott« war die Rede.39 Das Festspieldirektorium war zwar
der Ansicht, dass »die Gegenpropaganda […] nur von einer kleinen, zwar sehr
34 Der Spiegel, 12. 12. 1951, S. 40.
35 Vgl. Brief(-Entwurf) von Ernst Lothar an Helene Thimig. o. O., 29. Oktober 1951. WBR, ZPH
922a. – »Die Regiebetrauung Ernst Lothars, dem Reinhardtkreise nahestehend, erscheint […]
als eines der vielen Beispiele einer machiavel lischen Denkungsart« der Festspielleitung, »man
brauchte seinen Namen und nützte seine Ambi tion aus«, so Rudolf Holzer in der Presse vom
29. Juli 1952. Vgl. auch Hamburger Abendblatt, 30. 11. 1951.
36 Gisela Prossnitz: Jedermann. Von Moissi bis Simonischek, S. 26.
37 Vgl. Brief von Heinrich Puthon (Direktorium der Salzburger Festspiele) an EL. Salzburg,
3. Oktober und 3. November 1951; Brief von Egon Hilbert an EL. Wien, 11. November 1951
sowie Besprechungsnotiz Inszenierung »Jedermann«. Wien, 11. Oktober 1951 (Egon Hilbert).
WBR, ZPH 922a. Auch wurde er bereits als Regisseur des Jedermann 1953 verpflichtet (vgl. Brief
von Heinrich Puthon und Bernhard Paumgartner an EL. Salzburg, 22. Dezember 1951. WBR,
ZPH 922a).
38 Das Antiquariat. Halbmonatschrift für alle Fachgebiete des Buch- und Kunstantiquariats,
8 (1952), S. 99; Gisela Prossnitz: Jedermann. Von Moissi bis Simonischek, S. 26; Andres
Müry: Jedermann darf nicht sterben, S. 52. Vgl. dazu auch EL: Das Wunder des Überlebens,
S. 392 – 399, hier S. 393.
39 Vgl. Süddeutsche Zeitung, 29. 7. 1952 und Brief von Heinrich Puthon an EL. Salzburg, 19. Dezem-
ber 1951. WBR, ZPH 922a; vgl. auch Neues Österreich, 29. 7. 1952.
»Amerikanischer Söldling«? 299
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ernst Lothar
- Untertitel
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Autor
- Dagmar Heißler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 484
- Schlagwörter
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478