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Partei und das Vorgehen gegen die Sozialdemokraten, weder die Errichtung
eines autoritären Ständestaats noch die Februarkämpfe 1934 mit mehreren
Hundert Toten werden in seinen Memoiren mit einem Wort erwähnt. Auch
zum Schattendorfer Urteil und dem Justizpalastbrand bzw. der durch das
Urteil ausgelösten Demonstra tion im Juli 1927 (Julirevolte), die die Polizei
mit Waffengewalt auföste (fast 90 Tote, über 1000 Verwundete), äußerte
sich Lothar nicht.
Die sozialdemokratische Politikerin Marianne Pollak,51 Chefredakteurin der
Wochenzeitschrift Die Frau, der Lothar ein Widmungsexemplar zukommen
ließ,52 zeigte sich enttäuscht, dass ein Mensch von solchem »ethischen und
geistigen Format« die Geschehnisse dieser Jahre übergehen konnte: Wahrer
österrei chischer Patriotismus »dürfte nicht Grenzen ziehen, die gerade durch
Schweigen besonders ausdrucksvoll werden«.53
Der Verein der Bibliothekare an Öffent lichen Büchereien empfiehlt in sei-
nem Organ Bücherei und Bildung hingegen Das Wunder des Überlebens gerade
als »Dokument unserer Zeit«, Lothars »Liebe zur Heimat und zur heimat-
lichen Kultur« lasse ihn, »trotz allem, was er bei der ›Heimkehr‹ Österreichs
von Österreichern erdulden mußte, zornig protestieren, wenn einer das braune
Deutschland und das braune Österreich über einen Kamm schert« 54. Fritz Stiedry,
den besonders Lothars »Herzensstellung zu Österreich« interessierte, weil ihm
persön lich »dies Land so widerwärtig und schwierig« sei, dass »keine Macht
der Welt« ihn »veranlassen könnte[,] dort zu leben«, schrieb Lothar nach der
Lektüre: »Kein Zweifel, trotzdem Du[’]s genau erkennst, liebst Du das Land,
so wie eine Mutter ein Krüppel- Kind besonders zärt lich verwöhnt.« 55 Zu einem
ähn lichen Schluss kommt auch das Theatermagazin Die Bühne:
51 Marianne Pollak (geb. Springer) war seit 1914 Mitglied in der Sozialdemokratischen Partei
Österreichs, von 1923 bis 1925 Sekretärin des sozialdemokratischen Politikers Friedrich Adler,
arbeitete für Das Kleine Blatt und die Arbeiter-
Zeitung, deren Chefredakteur ihr Mann Oscar
war, und engagierte sich in Frauenbewegungen. 1935 flohen die Pollaks aus Wien nach Brüssel,
Paris, Lissabon, London. Zurück in Österreich, zog Marianne Pollak 1945 für die SPÖ in den
Na
tionalrat ein, bis 1959 arbeitete sie als Abgeordnete. Vgl. Wolfgang R. Langenbucher (Hg.):
Sensa tionen des Alltags, S. 416.
52 Sie hatte sich vor Jahren sehr positiv über seinen Engel mit der Posaune geäußert (Arbeiter-
Zeitung, 26. 1. 1947, S. 3).
53 Vgl. Brief von Marianne Pollak an EL. Wien, 1. November 1960. WBR, ZPH 922a.
54 Bücherei und Bildung, 1 (1961), S. 302 f.
55 Brief von Fritz Stiedry an EL. Zürich, 3. November 1960. WBR, ZPH 922a.
Panorama eines österreichischen Schicksals 343
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ernst Lothar
- Untertitel
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Autor
- Dagmar Heißler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 484
- Schlagwörter
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478