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Zweitens kann man den vor allem in Rezensionen seiner frühen Werke per-
manent vorgebrachten Vergleich mit anderen Autoren nicht nur als Lob, son-
dern auch als Manko eines fehlenden eigenen Ausdrucks bzw. als Epigonentum
interpretieren, da beim Lesen der Lothar’schen Bücher offenbar sofort an
andere Schriftsteller gedacht wurde. Man könnte also mit einiger Berech-
tigung behaupten, dass Lothars frühe Werke einer Kollektivästhetik der
Mittelmäßigkeit entsprechen. Etwas Ähn liches scheint Carl Zuckmayer zu
meinen, wenn er den Autor Ernst Lothar als »gepfegt, kultiviert« beschreibt
und ihm ein »gutes Niveau, ohne allzu heftig nach oben oder unten auszu-
arten« 48, attestiert.
Einen weiteren Grund dafür, dass sein Erfolg als Schriftsteller nicht von
Dauer war, liefert erneut die Durchsicht der Beurteilungen seiner Romane.
Von manchen Rezensenten wurden folgende Kritikpunkte formuliert: Lang-
atmigkeit, Lehrhaftigkeit, Humorlosigkeit, stereotype Gestalten und Situa-
tionen, melodramatische Effekte; auch würden seine in mehr als zehn Spra-
chen übersetzten Romane keinen Raum für die Einbildungskraft lassen, sie
entwickelten sich streng lo gisch und chronolo gisch, es bleibe keine weiter-
wirkende Ungewissheit, seinen Büchern fehle »die gedank liche Tiefe«, die
»symbo lische Komplexheit und die Mehrdeutigkeit großer Romane«.49 Mitte
der 1940er Jahre brachte ein Kritiker die Schwächen der Lothar’schen Bücher
in einer Rezension des Engels mit der Posaune auf die prägnante Formel: »ein
handfester, gekonnter, intelligenter Roman, der allerdings der Größe enträt,
die ihn unvergeß lich machen würde« 50.
Für eine Beantwortung der Frage, ob Lothar ein zu Unrecht vergessener
Autor ist, ist vielleicht auch seine eigene diesbezüg
liche Einschätzung von
Interesse. Hinsicht
lich seines Könnens war er oft von Selbstzweifeln geplagt:
In den 1940er Jahren behauptete er von sich, »ein vielseitiges, daher keinseitiges
Talent« 51 zu sein, fast zwanzig Jahre später meinte er, dass das, was er schreibe,
Ernst Lothar 13 Mal besprochen, je sechs Rezensionen gibt es zu Werken Joseph Roths oder
Hermann Brochs« (Sigurd Paul Scheichl: Rezep tion oder Rezep tionsdefizit?, S. 339).
48 Brief von Carl Zuckmayer an Dorothy Thompson. Barnard, Vermont, 1. Oktober 1940. DLA,
HS000242360.
49 Donald G. Daviau und Jorun B. Johns: Ernst Lothar, S. 522.
50 Original Amerikanisch. – Orville Prescott: Books of the Times. In: New York Times, 15. 3. 1944,
S. 17.
51 Brief von EL an AG. Colorado Springs, 12. Februar 1942. WBR, ZPH 922a. – Der Kritiker Max
Fischer etwa beschreibt Lothar als intelligenten, vielseitigen Mann, aber keines seiner Werke
sei genial gewesen (Commonweal, 12. 3. 1943).
Schluss 383
Open Access © 2016 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO.KG, WIEN KÖLN WEIMAR
Ernst Lothar
Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Ernst Lothar
- Untertitel
- Schriftsteller, Kritiker, Theaterschaffender
- Autor
- Dagmar Heißler
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-20145-8
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 484
- Schlagwörter
- österreichischer Schriftsteller, unveröffentlichte Werke und Korrespondenz, literarische Einflüsse und Beziehungen, Rezeption, Emigration, Theater
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 9
- 2. Quellenlage 15
- 3. 1890 – 1925: Literarische Nachwuchshoffnung 27
- 4. 1925 – 1935: »Einer jener Kritiker, die auch ein Stück Theaterdirektor sind« 53
- 5. 1935 – 1938: Theater in der Josefstadt – Max Reinhardts »rechte Hand und linker Fuß« 99
- 6. 1938 – 1946: Exil – »Emigrieren ist eine Sache für junge Menschen, die sich nicht erinnern« 135
- 7. 1946 – 1950: Rückkehr – »… und in Lothars Lager war Österreich« 243
- 8. 1950 – 1959: »Von allen meinen Kritikern bin ich der unerbittlichste« 293
- 9. 1959 – 1974: »… und so muss ein Stückchen Torso für ein Stückchen Ganzes gelten« 335
- 10. Schluss 373
- Literaturverzeichnis 385
- Anhang 415
- Bibliographie Ernst Lothar 415
- Selbstständige Publikationen 415
- Unselbstständige Publikationen 421
- Inszenierungen 464
- Zeittafel 467
- Personenregister 473
- Werkregister 478