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Joseph Lanner – Leben und Werk
zweier unterschiedlicher Werke herausstellte. Falsche Zuschreibungen existieren nach wie vor, werden
sich möglicherweise nie völlig auflösen lassen.
Die drei großen Wiener Bibliotheken – Nationalbibliothek, Wienbibliothek und Archiv der Gesellschaft
der Musikfreunde – sind die zentralen Anlaufstellen für Lanner. Private Sammler wie Weinmann und
Simon haben ihre wertvollen Bestände dorthin gegeben, so dass eine bescheidene Zahl an Originalen
– allen Widrigkeiten zum Trotz – sich erhalten hat und zugänglich ist. Besonders hervorzuheben ist die
Sammlung Simon – Klaviererstausgaben sowie etliche autographe Partituren –, die in der Wienbibliothek
aufbewahrt wird. Die private Sammlung StrauĂź-Simon (Simon war Schwager von Johann StrauĂź Sohn,
Bankpräsident und leidenschaftlicher Sammler) wurde der Stadt Wien zum Kauf angeboten, durch den
Anschluss 1938 ergab sich eine neue Situation: 1941 wurde das gesamte Vermögen und damit auch die
genannte Sammlung von der GESTAPO eingezogen. 1946 begannen langwierige Verhandlungen zur
RĂĽckgabe, die erst 1952 zum Abschluss kamen und der Wienbibliothek den Erwerb des GroĂźteils dieser
Sammlung ermöglichten. Durch die Auslagerung auf Schloss Stixenstein/Niederösterreich während des
Krieges gingen leider einige wertvolle Exemplare verloren.
Funktionalität – Autonomie – Interpretation
„Im Ländler-Vortrage steht Lanner ganz eigenthümlich da, bizarr, hinreißend …“ 259
Tanzmusik ist funktional, doch instinktiv hatten Lanners Zeitgenossen begriffen, dass eine neue Ă„ra ange-
brochen war. Wurde eine Novität angekündigt, so hielt man ein, das Gespräch verstummte, andächtig hörte
man der Uraufführung zu, um sodann zu den gleichen Klängen, die man gerade konzertant dargeboten
bekommen hatte, zu tanzen. Niemals zuvor, und nirgendwo sonst prallten diese beiden Welten so unmittel-
bar aufeinander: das physische Bedürfnis nach Rhythmus, nach Bewegung, und die ästhetische Sehnsucht
nach Überhöhung, das Streben nach dem Wahren, Guten, Schönen. Tanz war immer mehr als nur Sport,
war körperlicher Ausdruck von Emotionen, wurde angeregt durch die Musik und regte ihrerseits Musik an.
Tanzsuitesätze verselbständigten sich, das Menuett fand Eingang in die Sinfonie, lud ein zum bewussten
Zuhören einer Musik, die bis dahin als stimulierend, aber nie als autonomes Kunstwerk rezipiert worden war.
Lanner verkörperte all das: er gab den Tanzenden ihre Tänze, er gab ihnen in der Musik Leidenschaft
und Schmachten, prickelnde Erotik und keusche ZurĂĽckhaltung, Ekstase und Idylle. Mit jedem neuen
Werk schuf er zugleich neue Ansprüche: dass ein Walzer in einer einzigen Nacht drei, vier, sogar zwölf
Mal gespielt wurde, hatte nicht nur mit der ökonomischen Ausbeutung einer langen Veranstaltung, die
mit Musik zu fĂĽllen es galt, zu tun, sondern mit jener inneren Notwendigkeit, die Mozart, Beethoven
und noch Brahms das Wiederholungszeichen am Ende der Exposition setzen lieĂź: seht her, welch ein
Reichtum, der sich nur durch mehrmaliges Spielen euch erschlieĂźen wird.
Ă„uĂźere Zeichen gab es zuhauf: Lanner reduzierte die Anzahl der Walzerteile, schuf zum Ausgleich Fi-
nali, welche Melodien von zuvor aufnahmen und aus dem unverbindlichen Hintereinander ein bezie-
hungsreiches Gleichzeitiges machte. Thematische Arbeit blieb rudimentär, aber in der Disposition einer
Gesamtanlage stand Lanner Beethoven in nichts nach: „Per aspera ad astra“ könnte über den meisten
groĂźen Walzerketten stehen. Kontrastierende Abschnitte erhalten die Spannung, unterstĂĽtzt durch eine
Instrumentierung, die sinfonische Klangwirkungen in einen dem Konzertanten abholden Raum ein-
bringt: kein einziger seiner Walzer wurde in einem „Konzertsaal“ uraufgeführt, dennoch laden sie ein zu
aufmerksamem und andächtigem Zuhören.
259 Theaterzeitung 25. 2. 1837.
Joseph Lanner
Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Titel
- Joseph Lanner
- Untertitel
- Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Autor
- Wolfgang Dörner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78793-8
- Abmessungen
- 21.0 x 29.5 cm
- Seiten
- 752
- Schlagwörter
- Joseph, Lanner, list of works, waltz, Vienna, danse, Joseph, Lanner, Werkverzeichnis, Walzer, Wien, Tänze
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Danksagung 9
- Verzeichnis der AbkĂĽrzungen 10
- Biographische Notizen 13
- Reisen 16
- Beginn – Werden – Sein 21
- Vorläufer – Mitläufer – Nachfolger 23
- Tanz 28
- Bälle – Tanzstätten – Aufführungsorte 32
- Solisten – Ensemble – Kapelle – Orchester 39
- Akademie – Assemblée – Conversation – Piquenique – Réunion 42
- Publikum 44
- Werke 46
- Instrumentation 69
- Formen 79
- Notenmaterialien 86
- Widmungsträger 95
- Titel 97
- Verlage 100
- Quellen – Bibliotheken – Sammlungen 101
- Funktionalität – Autonomie – Interpretation 102
- Virtuosentum 106
- Romantik – Biedermeier 108
- Strahlender Stern – leuchtender Stern 112
- Rezension – Rezeption 113
- FlĂĽchtige Lust 115
- Literatur 117
- I. Gedruckte und mit Opuszahlen versehene Werke
- II. Nicht mit Opuszahlen versehene Werke
- III. Sammelwerke und diverse Werke 717
- IV. Anhang