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Je jünger LehrerInnen jedoch sind, desto weniger geben sie im Vergleich zu älteren
KollegInnen an, Austriazismen zu verwenden. Jüngere LehrerInnen akzeptieren
Deutschlandismen eher bzw. integrieren diese in den eigenen Sprachgebrauch. Die
Variantenloyalität unter den LehrerInnen ist somit altersabhängig. Dies kann als
Indiz für einen generationsspezifischen Sprachwandel gedeutet werden, der derzeit
stattfindet. Auch die jeweilige Region spielt bei den Angaben zur Variantenver-
wendung eine Rolle. Generell gilt für LehrerInnen und vor allem für SchülerIn-
nen unabhängig vom Alter: Je weiter man in Österreich nach Westen geht, umso
häufiger werden den Angaben der ProbandInnen zufolge auch Deutschlandismen
verwendet. Und es zeigt sich in unseren Daten, dass in den Einstellungen inner-
österreichische Unterschiede im Sinn einer regionalen Plurizentrik oder eines
pluriarealen Ansatzes vorhanden sind: So verhalten sich bei den Einstellungen
die fünf von uns angenommen Regionen Ost (Wien, Burgenland, Niederöster-
reich), Südost (Steiermark, Kärnten), Mitte (Oberösterreich, Salzburg), Tirol und
Vorarlberg manchmal unterschiedlich. Dabei wiesen vor allem die Regionen Ost
und West bzw. Vorarlberg signifikante Unterschiede auf, und es war wichtig, die
in der Lexikographie meist als nur eine angenommene Region „Westösterreich“
in zwei Regionen, nämlich in die Regionen Tirol und Vorarlberg, zu unterteilen.
Schließlich zeigte sich bei einer Befragung zu einer Reihe von Varianten und deren
relativen Verwendung, dass der Prozentsatz von deren Verwendung auch zwischen
LehrerInnen und SchülerInnen differiert. Was diese Relativität von Varianten
betrifft, d. h. in welchem Ausmaß alternative Varianten verwendet werden, so
müsste diese relative Variantenverwendung unseres Erachtens im plurizentri-
schen Zugang empirisch stärker berücksichtigt und differenzierter beschrieben
werden. Ein Teil der präsumptiven Austriazismen schließlich dürfte zunehmend
von Deutschlandismen abgelöst werden – ein Hinweis auf den schon angespro-
chenen, vom Medienverhalten beeinflussten altersspezifischen Sprachwandel.
Die parallele Verwendung von standardsprachlichen Austriazismen und
Deutschlandismen ist aber nur eine Facette im Sprachenalltag in Österreichs
Klassenzimmern. Sprachlich komplex ist die Situation dadurch, dass Dialekt und
Umgangssprache sehr präsent sind und große Teile der Unterrichtskommunikation
im Zeichen des Dialekt- Standard- Kontinuums stehen und ein ständiger Wechsel
zwischen den Varietäten zu beobachten ist. Innere Mehrsprachigkeit ist im Unter-
richt Realität. LehrerInnen dürften
– wie die teilnehmenden Unterrichtsbeobach-
tungen gezeigt haben – öfter zwischen Standard, Umgangssprache und Dialekt
switchen, als ihnen bewusst ist. Müssen LehrerInnen schimpfen, tun sie das nicht
im „Schönbrunner Deutsch“, sondern in einer umgangssprachlich oder dialektal
gefärbten Diktion. Unsere Interviews und Gruppendiskussionen haben auch zu
Tage gebracht, dass LehrerInnen nicht- standardsprachliche Äußerungen fast mit
schlechtem Gewissen tätigen. Mehrfach haben die befragten PädagogInnen uns
ihr „Bemühen“ geschildert, dass sie „schon versuchen“, Standardsprache zu spre-
chen und nach einer Nonstandard- Äußerung wieder zu dieser zurückzukehren.
Zusammenfassung der Ergebnisse
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Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Titel
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Untertitel
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Autoren
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 266
- Schlagwörter
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256