Seite - 90 - in Religion, Medien und die Corona-Pandemie - Paradoxien einer Krise
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Im pandemischen Alltag erlauben Medien, einander trotz der Abstandsre-
geln zu sehen und sich auszutauschen. Dies ist umso wichtiger, wenn es
um den Kontakt mit Menschen geht, die wegen einer Covid-19-Infektion
Abschied von ihrer Familie nehmen müssen. Durch die Digitalisierung
rückt die Intensivstation etwas näher an die private Familiensphäre.
Die gemeinnützige US-amerikanische Organisation COVID Tech Con-
nect (www.covidtechconnect.com) plant, iPads an Krankenhäuser und
Pflegeheime zu verteilen. Die Aufrüstung dieser Institutionen mit Tablets
zielt darauf, die Sterbebegleitung zu verbessern und den Kontakt zu Ange-
hörigen – wenn auch auf eingeschränkte Weise – zu ermöglichen.
Von der innerfamiliären Kommunikation zur weltweiten Ausstrahlung
Obwohl Keiko allein stirbt, sieht ihr die ganze Welt dabei zu. Dies scheint
ein o!ensichtliches Paradox zu sein. Durch die Aufnahme ihres Todes ha-
ben viel mehr Menschen von ihr erfahren, als es sonst der Fall gewesen wä-
re. Dieser Prozess der Mediatisierung scheint der Privatisierung des Ster-
bens entgegenzuwirken. Man sieht zwar nicht den exakten Moment des
Todes; das Video zeigt jedoch die unmittelbaren Augenblicke vorher und
nachher.
Damit wird die Intimität des Sterbens durch eine mediale Vermittlung
ö!entlich zugänglich gemacht. Gerade das, was tendenziell gesellscha#lich
tabuisiert ist, wird zur Schau gestellt.
Das Video ist sehr emotional aufgeladen. Keiko wird als eine Art Heili-
ge dargestellt. Sie zog ihre acht Kinder erfolgreich groß, obwohl ihr Ehe-
mann unter Alkoholsucht litt und daran früh verstarb. Die Familie präsen-
tiert sich als sehr gläubig; Keiko selbst unterrichtete den Kindern bibli-
sches Wissen. Die Großmutter wird beim liebevollen Umgang mit ihren
Enkelkindern gezeigt. Dies alles trägt zum Gesamteindruck einer glückli-
chen, christlichen Familie mit einem großen Zusammenhalt bei. Und ge-
rade deswegen wird ihre Geschichte in den Medien verbreitet.
Das Christentum in seinen vielen Facetten ist die verbreitetste religiöse
Tradition in den Vereinigten Staaten, und die Neutzs werden als Idealbild
einer US-amerikanischen Familie inszeniert. Sie sind das Paradebeispiel für
eine Familie, in der man auch in der Pandemie nicht allein stirbt. Das Vi-
deo kann als Gegenprogramm zu den vielen Informationen gedeutet wer-
den, die Angst vor dem Coronavirus schüren. Abstand zu halten und vor-
sichtig mit Kontakten umzugehen sind einerseits epidemiologisch sinnvol-
le Maßnahmen, andererseits kündigen sie an, dass der einsame Tod im
Krankenhaus jeden und jede tre!en könnte.
Der Tod als mediale Inszenierung
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https://doi.org/10.5771/9783748922216, am 10.02.2021, 12:13:48
Open Access - - https://www.nomos-elibrary.de/agb
Religion, Medien und die Corona-Pandemie
Paradoxien einer Krise
- Titel
- Religion, Medien und die Corona-Pandemie
- Untertitel
- Paradoxien einer Krise
- Autor
- Daria Pezzoli-Olgiati
- Herausgeber
- Anna-Katharina Höpflinger
- Verlag
- Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-7489-2221-6
- Abmessungen
- 15.3 x 22.7 cm
- Seiten
- 134
- Kategorien
- Coronavirus
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- Einführung 7
- Fahren auf Sicht im Nebel des notwendig Undeutlichen 11
- Wenn jetzt alles anders ist, wie ist es denn immer gewesen? 13
- «Wir sitzen zu Hause und draußen geht die Welt unter» 17
- Gemeinscha!en in Isolation 23
- Leere Tempel, volle Livestreams in China 27
- Digitale Au!ührungen des Ausnahmezustands 35
- Ambivalente Deutungen des Virus in Facebook-Communities 41
- Krise und Solidarität im öffentlichen Raum 49
- Solidarität zwischen Kirche und Suppenküche 51
- Leid und Hoffnung einer Nation im Grati 59
- Unterhaltung in der Pandemie 67
- Lieder zwischen Krisenbewältigung und Entertainment 69
- Witz und Religionskritik in Internet-Memes 77
- Der Tod als mediale Inszenierung 85
- Einsamer Abschied vor aller Welt 87
- Das Virus ist unsichtbar, der Tod ganz konkret 93
- Wirklichkeitsdeutung zwischen Fakten und Fake News 101
- Erlösung durch Kapitalismus 103
- Die Verschwörung(en) hinter der Pandemie 111
- Ausblicke ins Ungewisse 119
- Die Pandemie als Ritual – ein Gedankenspiel 121
- Prophetische Metaphern der postpandemischen Zeit 127
- Abbildungsverzeichnis 133