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anfing und seine Worte nicht mehr wägte und über Trebitsch klagte und über
die Undankbarkeit überhaupt. Was machte ein Mann von den Fähigkeiten
Lohses bei der Reichswehr?
Was machte so ein Mann bei der Reichswehr? Es kam, ein erquickendes
Echo, von Benjamin Lenz zurück. Wer hatte ihn beiseite geschoben? Es kam
darauf an, es zu erfahren. Man mußte seinen Gegner kennen.
Oh, wie wußte Lenz Bescheid. Man sollte sich mit Benjamin Lenz gut
verhalten.
Wieviel wußte er von Theodor allein? Alles. Ahnte er auch die
Angelegenheit Klitsche? Er kannte sie. Er sagte:
»Sie können nicht umsonst Blut vergossen haben, Herr Leutnant Lohse.
Andere können über Leichen gehen, der Idee wegen oder weil sie Mörder
sind von Geburt. Sie aber, Herr Lohse, glauben längst nicht mehr an die Idee
und sind kein geborner Mörder. Sie sind auch kein Politiker. Sie wurden von
Ihrem Beruf überfallen. Sie haben ihn sich nicht gewählt. Sie waren
unzufrieden mit Ihrem Leben, Ihren Einnahmen, Ihrer sozialen Stellung. Sie
hätten versuchen sollen, im Rahmen Ihrer Persönlichkeit mehr zu erlangen,
niemals aber ein Leben, das Ihrer Begabung, Ihrer Konstitution
zuwiderläuft.«
Nein, Theodor konnte es nicht, durfte es nicht. Klein und unbeachtet hätte
er ohne Umwege auch bleiben können; wäre Hauslehrer bei Efrussi und
zufrieden.
An diesem wehmütigen Abend fiel ihm Frau Efrussi ein. Die sanfte
Berührung ihres Oberarmes im Auto, ihr Lächeln.
Zu ihr und ihresgleichen führte der Weg, an dessen Ende die Macht lag.
Wie aufrichtig sprach Benjamin, der Spitzel. Es gibt Abende, dachte Theodor,
an denen die Menschen gut werden müssen, entzaubert werden.
Da fiel ihm auch schon Günther ein, Günther, der seine Braut geliebt hatte;
dieses Angesicht sah er, das violett unter den Augen schimmernde, und den
enthüllten Oberkiefer unter krampfhaft emporgezogenen Lippen.
Wie pfiffen Züge sehnsüchtig durch die Nacht, der Friede kam vom blauen
Himmel.
An Theodors Seite geht Benjamin Lenz, und das ist vielleicht sein Freund.
Es ist dein Waffengefährte, Theodor. Seine Schlauheit ist nützlich. Zu zweit
ist man erfolgreich. Und wer anderer könnte dein Bundesgenosse sein als
Lenz? Benjamin Lenz versteht Theodor Lohse.
Sie gingen den langen Weg zurück; zwischen ihnen war die gute,
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Buch Das Spinnennetz"
Das Spinnennetz
- Titel
- Das Spinnennetz
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1923
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 93
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Kapitel 1 5
- Kapitel 2 10
- Kapitel 3 14
- Kapitel 4 17
- Kapitel 5 21
- Kapitel 6 24
- Kapitel 7 30
- Kapitel 8 32
- Kapitel 9 36
- Kapitel 10 39
- Kapitel 11 42
- Kapitel 12 44
- Kapitel 13 47
- Kapitel 14 50
- Kapitel 15 52
- Kapitel 16 54
- Kapitel 17 57
- Kapitel 18 59
- Kapitel 19 61
- Kapitel 20 64
- Kapitel 21 67
- Kapitel 22 69
- Kapitel 23 73
- Kapitel 24 76
- Kapitel 25 79
- Kapitel 26 81
- Kapitel 27 83
- Kapitel 28 86
- Kapitel 29 89
- Kapitel 30 92