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Der Totenbrauch
grundlage und Arbeitsunterstützung gleichzeitig darstellte. Mit einer Vielzahl an alten Hausmitteln
musste das Auslangen gefunden werden.
Bei chronischen Krankheiten, wenn keine nahe Todesgefahr zu besorgen ist, werden die Kranken unter
Tags im Hause abgesperrt und ganz allein sich selbst überlassen, während die Angehörigen am Felde
oder im Walde auf der Wiese ihrer Arbeit nachgehen.
Der Arzt wurde häufig erst im letzten Augenblick geholt – oft war es dann aber schon zu spät –,
und der Priester kam zum „Versehgang“ und zur „Ertheilung des hl. Sterbesakramentes“.
Wenn nicht beim Kranken eine plötzliche Todesgefahr eintritt, wird der Priester meistens in der Frühe
nach dem hl. Meßopfer zum „Versehen“ geholt, zu welcher Handlung der Kranke und ausdrückliche
Fälle ausgenommen, immer nüchtern bleibt, obwohl die Leute von mir darüber belehrt worden sind,
daß dieses in schweren Krankheitsfällen nicht nöthig und geboten sei. Zum „Versehgange“ holt den
Priester immer ein erwachsener männlicher Bothe des Hauses, ja meistentheils der Hausbesitzer selbst,
oder wenn im Hause des Kranken kein geeigneter Bothe zur Hand wäre, dann verrichtet ein Nachbars-
mann diesen Liebesdienst. Dieser „Versehbothe“ und nicht etwa der Meßner, geleitet auch den Priester
zum Kranken, indem er vor dem Priester einhergeht, die „Versehlaterne“ mit der brennende Kerze da-
rin, trägt, und mit dem Glöcklein am Wege fortwährend klingelt, um auf den Versehgang aufmerksam
zu machen. Zum „Versehgange“ wird zuerst mit der Kirchenglocke geläutet und es laufen hierbei die
Dorfleute zum Theil in der Kirche zusammen zum Theil warten sie auch vor ihren Häusern um den
hl. Segen mit dem Hochwürdigsten Guthe zu empfangen, den ihnen der Priester da spendet, indem
alle niederknieen und das drei Mal „Heilig“ laut bethen. Ebenso ist es auch, wenn dem Priester beim
„Versehgang“ am Wege jemand begegnet, ja wenn auch die Leute auf irgendeiner Anhöhe weit entfernt
arbeiten, und den Priester beim „Versehgange“ daherkommen sehen, so knien sie doch sogleich nieder,
und fangen zu bethen an [...]
Sobald der Priester schon in die Nähe des Krankenhauses kommt, gehen ihm die Hausleute ein Stück
Weges entgegen, erwarten das Allerheiligste kniend, und begleiten es bethend zum Hause hin. Des-
gleichen thun auch die Bewohner der Nachbarhäuser, ja im Pfarrwinkel Anger herrscht der fromme
Brauch, daß 1–2 Personen aus jedem Hause beim Eintritt in das Viertel bei einem Feldkreuze erwarten
und ihn alle zusammen bethend bis zum Krankenhause begleiten, allwo sie dann vor dem Hausthore
abermal gesegnet werden. Zum „Versehen“ wird vorher der Kranke mit frischer Leibwäsche bekleidet
und die sonst meist unreinliche und ordnungslose Hausstube mehr in Ordnung gebracht, und sauber
ausgekehrt; der große Haustisch ist zum Hinlegen des Allerheil. Sakramentes mit einem reinweißen
Linnentuche bedeckt, und ein Kruzifix nebst Heiligenbilder oder kleinen religiösen Statuen mit 1–2
brennenden Wachsstöcken darauf. Während der Kranke die Hl. Beicht verrichtet, bethen die Hausleute
wie auch Manche der Nachbarschaft draußen im Vorhaus mitsammen, bis sie der Priester nach ver-
richteter Beicht des Kranken wieder in die Stube ruft, wo sie kniend der hl. Handlung beiwohnen. Nach
vollendeter hl. Handlung wird in entfernteren Häusern dem Priester häufig ein Erfrischungs-Imbiß
gereicht, gezuckerter Wein mit Kipfeln, in neuester Zeit hie u da eine Schale Kaffe, andere gekochte Spei-
sen lehnte ich jedoch wegen häufiger Unreinlichkeit immer ab. Die Kranken sind meistens sehr gefaßt
und Gott ergeben, was eine Folge ihrer tief religiösen Gesinnung ist, sie sagen häufig:
„Wenn i nur a glückselige Stund hab“, d. i. eine glückselige Sterbstunde,
„dann mach i mir vom Sterben nix draus.“
und reden überhaupt von ihrem Sterben ohne besondere Angst. Einst einmal eine „glückselige Sterb-
stund“ zu haben, ist schon in den gesunden Lebenstagen der Wunsch dieser Leute, drum wird beim
gemeinsamen Hausgebeth auch jedes Mal ein Vaterunser um eine „glückselige Sterbstund“ gebethet,
und häufig lassen sie auf diese Meinung für sich das Hl. Meßopfer darbringen. Verwandten und Nach-
barsleute besuchen das Kranke fleißig, besonders wenn das Hinscheiden herannaht, und wechseln in
der Nachtwache beim Kranken mit dessen Angehörigen fleißig ab.
(Pfarrchronik Schäffern 1880, S. 309f.)
WeXel oder Die Musik einer Landschaft
Das Geistliche Lied, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- WeXel oder Die Musik einer Landschaft
- Untertitel
- Das Geistliche Lied
- Band
- 1
- Autoren
- Erika Sieder
- Walter Deutsch
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79584-1
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 648
- Schlagwörter
- Wechselgebiet, Geistliches Lied: Leichhüatlieder, bäuerliche Tradition der Totenwache, historische Tondokumente, Wörterbuch, Melodienincipits
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Abkürzungen 10
- Zum vorliegenden Band 12
- Die Landschaft 18
- Der Totenbrauch 24
- 1. Die Totenwache 26
- 2. Das Begräbnis und das Totenmahl 33
- 3. Das Singen 38
- 4. Das Liedgut und seine Quellen 40
- 5. Die Liedgattungen 47
- Die Sammlung: Lei(ch)hüat- / Leichwåcht-Liadln – Lieder zur Totenwache 59
- Anmerkungen zur Edition der Lieder 60
- Johannes Leopold Mayer
- Zusammenfassung
- Register für das Wechselgebiet und die angrenzenden Regionen in Niederösterreich und in der Steiermark
- Allgemeines Register
- a) Ortsregister 601
- b) Personenregister 607
- Sachregister 613
- Register der Liedanfänge, Sammelorte und Tonaufzeichnungen 618
- Inhaltsverzeichnis und Begleittext zu den beiliegenden Tondokumenten 629
- Sängerinnen, Sänger und Vorbeter der Tonaufzeichnungen 630
- Inhaltsverzeichnis zu den beiliegenden CDs 632
- Autoren und Mitarbeiter 640