Seite - 27 - in WeXel oder Die Musik einer Landschaft - Das Geistliche Lied, Band 1
Bild der Seite - 27 -
Text der Seite - 27 -
27
1. Die Totenwache
mit Hemd, am Kopfe mit schwarzseidenem Tüchl, mit einem besseren Kleide, und Strümpfen an den
Füssen, jedoch auch ohne Schuhe. Die Hände der Verstorbenen werden an der Brust wie zum Gebethe
gefaltet, mit einem Rosenkranz umwunden, und ein kleines Kruzifix dazwischen gesteckt, auch religiöse
Bilden, bei Kindern und noch jungen Personen werden auf dessen Brust gelegt, und der Leichnam wird
vorerst mit einem großen Leinentuche ganz überhüllt.
Aufgebahrt wird der Verstorbene auf 2 langen Brettern, ein Strohsack obenan, dieser mit einem Bett-
leintuch überzogen, die Füße des Verstorbenen sind gegen die Stubenthür gerichtet.
Und nun begann die Totenwache: Auf der niederösterreichischen Seite des Wechsels wird das Beten
und Singen für den in seinem Haus aufgebahrten Leichnam „Lei(ch)hüatn“ genannt, auf der stei-
rischen Seite des Wechsels heißt dieser Brauch seit etwa 1900 „Lei(ch)wåchtn“. Daran nahmen die
Mitglieder der Familie und die Nachbarn, welche auch beim Waschen und Anziehen geholfen hatten,
teil. Dazu berichtet Pfarrer Schänzl:
Zu Häupten des Verstorbenen steht ein brennendes Öhllämpchen und darunter ein Gefäß mit Weih-
wasser nebst einem kleinen Sprengwedel aus zusammengebundenen Kornähren, womit Alle die zum
Verstorbenen kommen, um diesem noch die letzte Ehre zu erweisen und auch da für sein Seelenheil zu
bethen, ihn auch mit geweihtem Wasser besprengen! Untertags kommen nur Hiesige, dem Verstorbenen
diese letzte Ehre zu erweisen, jedoch am Abend, wenn die Tagesarbeit vollendet ist, kommen so Viele,
auch aus entfernten Häusern im Sterbehause zusammen, daß mitunter in der Hauptstube, wo der Ver-
storbene „aufgebahrt“ ist, der Raum zu eng wird.
(Pfarrchronik Schäffern 1880, S. 311)
Die Hinterbliebenen, Nachbarn und Verwandten bekundeten in individuellen Verhaltensformen ihr
Mitgefühl, welches bis vor etwa 50 Jahren im Abschiednehmen beim „Leichhüatn“ oder „Leichwåchtn“
selbstverständlicher Ausdruck der Trauer war. Die Jungen wachten meist bis Mitternacht, dann wur-
den sie von den Alten abgelöst. Zum Beten und Singen gab es Brot und Most, meist stand für die Sän-
gerinnen eine Schüssel gefüllt mit Würfelzucker auf dem Tisch, welcher bei manchen Familien auch
in heißen Schnaps getunkt wurde.
Wie weit der Brauch der Totenwache in die Vergangenheit zurückreicht, zeigt der historisch auf-
schlussreiche Bericht des Burchard von Worms († 1025) in den Bußbestimmungen über den Toten-
kult. Neben einem Verweis auf dessen heidnischen Ursprung lässt er Bedeutung und Häufigkeit der
Totenwache ebenso erkennen wie Ablauf und Form:
Observasti excuis funeris, id est inter Hast du die Bewachung eines Leichnams
fuisti vigiliis cadaverum mortuorum, ubi durchgeführt, d.h., hast du an Totenwachen
Christianorum corpora ritu paganorum teilgenommen, wo die Leichname von Chris-
custodiebantur, et cantasti ibi diabolica ten nach heidnischem Brauch (Ritus) be-
carmina, et fecisti ibi saltationes, quas wacht wurden, und hast du dort getrunken
pagani diabolo docente adinvenerunt; et (gesoffen) und vor Lachen den Mund aufge-
ibi bibisti et cachinnis ora dissolvisti, et rissen und mit Hintansetzung (Außeracht-
omni pietate et affectu chariatis postpo lassung) jeglicher Frömmigkeit und Nächs-
sito quasi de fraterna morte exultare tenliebe den Eindruck erweckt, als würdest
visus es? Si fecisti, XXX dies in pane et du dich über den Tod des Bruders freuen?
aqua poeniteas. Wenn du dies getan hast, sollst du 30 Tage
(lang) bei Brot und Wasser Buße tun.
(Suppan 4, S. 130f.)
Diese Totenwache war ein mit Liedern und Gebeten erfülltes Verabschieden vom Verstorbenen und
fand nach – von Rotte zu Rotte unterschiedlich – tradierten Regeln statt. Den ganzen Tag hindurch
kamen Einzelpersonen ins Haus des Verstorbenen. Jeder Ankommende besprengte zuerst den aufge-
WeXel oder Die Musik einer Landschaft
Das Geistliche Lied, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- WeXel oder Die Musik einer Landschaft
- Untertitel
- Das Geistliche Lied
- Band
- 1
- Autoren
- Erika Sieder
- Walter Deutsch
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79584-1
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 648
- Schlagwörter
- Wechselgebiet, Geistliches Lied: Leichhüatlieder, bäuerliche Tradition der Totenwache, historische Tondokumente, Wörterbuch, Melodienincipits
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- Abkürzungen 10
- Zum vorliegenden Band 12
- Die Landschaft 18
- Der Totenbrauch 24
- 1. Die Totenwache 26
- 2. Das Begräbnis und das Totenmahl 33
- 3. Das Singen 38
- 4. Das Liedgut und seine Quellen 40
- 5. Die Liedgattungen 47
- Die Sammlung: Lei(ch)hüat- / Leichwåcht-Liadln – Lieder zur Totenwache 59
- Anmerkungen zur Edition der Lieder 60
- Johannes Leopold Mayer
- Zusammenfassung
- Register für das Wechselgebiet und die angrenzenden Regionen in Niederösterreich und in der Steiermark
- Allgemeines Register
- a) Ortsregister 601
- b) Personenregister 607
- Sachregister 613
- Register der Liedanfänge, Sammelorte und Tonaufzeichnungen 618
- Inhaltsverzeichnis und Begleittext zu den beiliegenden Tondokumenten 629
- Sängerinnen, Sänger und Vorbeter der Tonaufzeichnungen 630
- Inhaltsverzeichnis zu den beiliegenden CDs 632
- Autoren und Mitarbeiter 640