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Der Totenbrauch
bahrten Leichnam mit Weihwasser, um dann in einem kurzen, stillen Gebet seiner zu gedenken. Erst
in den Abendstunden, nach den Arbeiten in Haus, Hof und Stall, versammelten sich die Teilnehmer
in der Stube vor dem aufgebahrten Leichnam zum Singen und Beten; die Sängerinnen saßen rund um
den Haustisch. Grundsätzlich war das Leichhüten ein „Frauenbrauch“. Das Singen selbst war meist
nur besonders begabten Sängerinnen überlassen und nicht eine Sache aller Anwesenden. In allen er-
fassten Rotten auf der niederösterreichischen Seite des Wechsels und in den Vierteln der steirischen
Seite bestand die Sängergruppe mehrheitlich nur aus einigen Frauen, welche in der Nachbarschaft
der oft weit voneinander entfernt liegenden Höfe als gute Sängerinnen bekannt waren. Oft hatten die-
se mehrere Lei(ch)wachten in aufeinanderfolgenden Nächten zu singen. In den seltenen Fällen, dass
ein Mann zur Sängergruppe zählte, war dieser meist der Vorbeter bei Wallfahrten und in der Kirche.
Grundlage für das Singen bildeten die handschriftlichen Liederhefte der Frauen, die „Lei(ch)hüat-“
oder „Lei(ch)wåchtbüchln“, welche von Generation zu Generation weitergegeben und von den Töch-
tern manchmal – dem Geschmack der Zeit entsprechend – mit „schönen Liedern“ ergänzt wurden.
Durchlaufende Nummerierungen in den handschriftlichen Liederheften zeigen die im jeweiligen Ort,
der jeweiligen Rotte oder dem Viertel traditionelle Liedabfolge. Die Auswahl der „passenden“ Lieder
(Kind, Mädchen, Bursch, Mutter, Vater) war den singenden Frauen überlassen.
In der ersten Nacht des „Leichhüatns“ wurde von den Vorsängerinnen traditionell das Passionslied
„Lasset uns in Jesu Namen beten, singen anzufangen“ (Lied Nr. 96) angestimmt. Für die zweite Nacht
wird in den meisten Belegen das Lied „Zu meinem liebsten Jesu fang ich zu singen an“ (Lied Nr. 192)
genannt:
Vom Beginn des LeichhĂĽatens am frĂĽhen Abend, nach der Stallarbeit, wurde bis Mitternacht gesun-
gen. Zu den angestimmten Liedern zählten nicht nur die als „Leichhüatliedln“ benannten Gesänge,
sondern auch Lieder zu Jesus und Maria, zu lokalen Heiligen, Legendenlieder und Wallfahrtslieder.
Diese waren durch die traditionellen Wallfahrtsorte Mönichkirchen, Pinggau, St. Corona am Wechsel,
St. Jakob im Walde und Wenigzell oder die Wildwiesenkapelle (zum „Heiligen Waldhauser“ = Bald-
hauser = Tannhauser) allseits bekannt.
Ein Vorbeter, meist aus der Nachbarschaft der Hinterbliebenen, begann nach dem Singen mit dem
Gebet. Gewisse Gebetsfolgen bestimmten fast regelhaft den Ablauf der Totenwache, sie wurden aber
nicht ĂĽberall in gleicher Weise eingehalten. Eingeleitet wurde das Beten mit dem Glaubensbekennt-
nis. Darauf folgten das Vaterunser, das Ave-Maria und der dem Alter und Geschlecht des Verstorbe-
nen entsprechende Rosenkranz. In letzter Zeit beschränkte man sich in der traditionellen Gebetsab-
folge mit den drei Rosenkränzen, „Psalter“ genannt, neben dem Freudenreichen und dem Glorreichen
Rosenkranz nur auf den Schmerzhaften Rosenkranz. Die oftmals wiederkehrenden Vaterunser und
„Gegrüßet seist du Maria“ wurden nicht nur für den Verstorbenen gesprochen, sondern auch als „Mei-
WeXel oder Die Musik einer Landschaft
Das Geistliche Lied, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- WeXel oder Die Musik einer Landschaft
- Untertitel
- Das Geistliche Lied
- Band
- 1
- Autoren
- Erika Sieder
- Walter Deutsch
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79584-1
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 648
- Schlagwörter
- Wechselgebiet, Geistliches Lied: Leichhüatlieder, bäuerliche Tradition der Totenwache, historische Tondokumente, Wörterbuch, Melodienincipits
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- AbkĂĽrzungen 10
- Zum vorliegenden Band 12
- Die Landschaft 18
- Der Totenbrauch 24
- 1. Die Totenwache 26
- 2. Das Begräbnis und das Totenmahl 33
- 3. Das Singen 38
- 4. Das Liedgut und seine Quellen 40
- 5. Die Liedgattungen 47
- Die Sammlung: Lei(ch)hüat- / Leichwåcht-Liadln – Lieder zur Totenwache 59
- Anmerkungen zur Edition der Lieder 60
- Johannes Leopold Mayer
- Zusammenfassung
- Register für das Wechselgebiet und die angrenzenden Regionen in Niederösterreich und in der Steiermark
- Allgemeines Register
- a) Ortsregister 601
- b) Personenregister 607
- Sachregister 613
- Register der Liedanfänge, Sammelorte und Tonaufzeichnungen 618
- Inhaltsverzeichnis und Begleittext zu den beiliegenden Tondokumenten 629
- Sängerinnen, Sänger und Vorbeter der Tonaufzeichnungen 630
- Inhaltsverzeichnis zu den beiliegenden CDs 632
- Autoren und Mitarbeiter 640