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1. Die Totenwache
nung“ für die ihm Vorangegangenen aus dem Kreise der Hinterbliebenen und der Nachbarn. Mit der
„Litanei für Verstorbene“ oder der „Litanei vom Leiden Christi“, welche als Seelenhilfe verstanden
wurden, fand das gemeinsame Beten ein Ende. Die Auswahl der Gebete und die Entscheidung ĂĽber
die Dauer des Betens blieben immer den Sängerinnen oder dem Vorbeter vorbehalten.
Nach dem Beten verabschiedeten sich alle und besprengten den aufgebahrten Toten noch einmal
mit Weihwasser. Danach wechselten sich einzelne ältere Frauen und Männer in der Wache bei dem
aufgebahrten Leichnam ab, einerseits zur „Feuerwache“, um einen Brand durch die rituell brennende
Totenkerze zu verhindern, andererseits um Veränderungen am Leichnam rechtzeitig zu bemerken.
Die folgenden AuszĂĽge aus lokalen historischen Belegen zum Totenbrauch im Wechselgebiet illus-
trieren dessen Kontinuität:
Diese abendliche Zusammenkunft bei einer Leiche heißt man hier das „Leichhüthen gehen“, es wird
dabei in der Stube abwechselnd laut gebethet und gesungen; in den Zwischenpausen auch Brod und
Most herumgereicht, Tabak geraucht, und Verschiedenes erzählt, namentlich allerhand Sterbeszenen,
und man bleibt so bis zu den Morgenstunden beisammen. Man kommt hiezu am Abend nach der FĂĽt-
terungs- und Essenszeit, auch erst gar Mitternacht. Beim Kommen bethet zuerst jeder stille fĂĽr sich bei
der Leiche und besprengt selbe mit Weihwasser; dann spannt man sich im Hintergrund zusammen, und
sobald mehrere beisammen sind, wird laut und gemeinsam gebethet und gesungen, wobei die Vorbether
und Vorsänger beim Haustische sitzen. Beim Fortgehen besprengt wieder jedes die Leiche mit geweih-
tem Wasser.
(Pfarrchronik Schäffern39 1880, S. 319)
Im Sammelgut von Franz Reingruber40 aus den 1930er-Jahren in der Gegend von St. Peter am
Neuwald findet sich folgende Notiz zum „Lei(ch)hüatlieder“-Singen:
Der Tote liegt in der groĂźen Stube im Bett und Hausleute und Nachbarn kommen und singen bis 12 Uhr
Nachts, dann bis 1 Uhr Rosenkranz beten!
So ist ’s 2 bis 3 Nächte, dann wird der Tote im Sarg zur Kirche gebracht.
Eine ausfĂĽhrliche Beschreibung der Aufbahrung und Totenwache aus den 1930er-Jahren verfasste
Ernst Hamza41, der Erforscher des Volkslebens im niederösterreichischen Wechselgebiet:
Den Toten wie zur Hochzeit zu schmücken, wie er an seinem „Ehrentag“ einherging, ist ein schöner,
sinniger Brauch. Die Leiche einer verheirateten weiblichen Person bekommt ein schwarzseidenes Kopf-
tĂĽchel, der Kopf eines Mannes bleibt unbedeckt, Kinder und Jungfrauen bekommen ein Rosmarin-
kränzchen in das Haar. Das Brautgewand mag aussehen wie es will, immer aber bekommt der Tote
„schneewaissi Fuassëiggl“ (Fußsocken, wie der Schnee so weiß). Schuhe werden ihm keine angezogen.
Dann wird ein Laden in das Zimmer getragen, Länge und Breite je nach Bedarf – nach dem Wuchse des
Toten. Ist ein so starker Laden, wie man ihn brauchen wĂĽrde, nicht vorhanden, so werden 2 und wenn
es sein muĂź auch 3 dazu genommen.
39 Pfarrer Schänzl nennt auch „collegae“ der Nachbarpfarren: Franz Groh (Luckau, Böhmen 1826 – 1880 Waidendorf) –
Kooperator in Lichtenegg und Zöbern, Provisor und Pfarrer in Mönichkirchen; Karl Schauta (Wien 1819 – 1902 Payerbach)
– Kooperator in Lichtenegg, Payerbach und Prigglitz, Pfarrer in Hochneukirchen, Mönichkirchen und Payerbach; Georg
Trummler (Wiener Neustadt 1812 – 1862 Probstdorf) – Kooperator in Schönau i. G. und Unter-Aspang, Provisor und Pfar-
rer in Gschaidt, Pfarrer in Lichtenegg und Zöbern. Diözesanarchiv Wien, Priesterdatenbank.
40 Franz Reingruber (1894 – 1976).
41 Ernst Hamza: Volkskundliches aus dem nö. Wechselgebiet. Tod. In: Unsere Heimat. Monatsblatt des Vereins für Landes-
kunde und Heimatschutz von Niederösterreich und Wien, Neue Folge IX/11, Wien 1936, S. 301–312. Siehe auch Franz
Schunko: Leichhüatn in Petersbaumgarten. Totenbräuche im niederösterreichischen Wechselgebiet. Manuskript 1951,
NĂ–VLA, A 368.
WeXel oder Die Musik einer Landschaft
Das Geistliche Lied, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- WeXel oder Die Musik einer Landschaft
- Untertitel
- Das Geistliche Lied
- Band
- 1
- Autoren
- Erika Sieder
- Walter Deutsch
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79584-1
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 648
- Schlagwörter
- Wechselgebiet, Geistliches Lied: Leichhüatlieder, bäuerliche Tradition der Totenwache, historische Tondokumente, Wörterbuch, Melodienincipits
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- AbkĂĽrzungen 10
- Zum vorliegenden Band 12
- Die Landschaft 18
- Der Totenbrauch 24
- 1. Die Totenwache 26
- 2. Das Begräbnis und das Totenmahl 33
- 3. Das Singen 38
- 4. Das Liedgut und seine Quellen 40
- 5. Die Liedgattungen 47
- Die Sammlung: Lei(ch)hüat- / Leichwåcht-Liadln – Lieder zur Totenwache 59
- Anmerkungen zur Edition der Lieder 60
- Johannes Leopold Mayer
- Zusammenfassung
- Register für das Wechselgebiet und die angrenzenden Regionen in Niederösterreich und in der Steiermark
- Allgemeines Register
- a) Ortsregister 601
- b) Personenregister 607
- Sachregister 613
- Register der Liedanfänge, Sammelorte und Tonaufzeichnungen 618
- Inhaltsverzeichnis und Begleittext zu den beiliegenden Tondokumenten 629
- Sängerinnen, Sänger und Vorbeter der Tonaufzeichnungen 630
- Inhaltsverzeichnis zu den beiliegenden CDs 632
- Autoren und Mitarbeiter 640