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J. L. Mayer – Irdische Lieder für ’s ewige Leben
irdischen, dem ewigen Leben in der himmlischen Freude sollen dem Menschen, nachdem sein eigenes
Tun allhier ein Ende gefunden hat, „auf d’ Letzt“ auch noch die Gebete und Lieder bei der Totenwa-
che, beim Requiem und der Einsegnung verhelfen. Wenn die definitorischen Ingredienzen der „pietas
austriaca“ für die gesamte menschliche Lebenswelt ihre Bedeutung haben, dann können sie diese Be-
deutung auch hinsichtlich eines toten Menschen nicht verlieren, da sie als feste Säulen des Glaubens
verstanden werden – und dieser Glaube soll ja selig machen.
Aus diesem Blickwinkel betrachtet erweisen sich selbst jene Lieder fĂĽr die Zelebration des Todes
und des Toten als besonders passend und daher angemessen auch für das „Leichwachtn“, welche fürs
Erste keinen Bezug auf das Phänomen Tod oder Sterben zu nehmen scheinen. Ihr Inhalt lässt sich
mit den Grundausprägungen der Frömmigkeit aber in Beziehung bringen, ja, sie sind nichts weniger
als ein Ausdruck, eine Evidentwerdung derselben in deren Bestandteilen. Da es sich dabei eben – wie
beschrieben – um Leitgedanken handelt, so vermögen diese Lieder durch die in ihnen an- und ausge-
sprochenen Themen demnach genau das: die Glaubenden im Glauben zu leiten – die Lebenden, die da
singen, gleichermaßen wie die Toten zu leiten von „hier“ nach „dort“.
An dieser Stelle erscheint ein persönlicher Einschub als angemessen: Ich, der Autor dieser grund-
sätzlichen Betrachtungen, habe die hier nun näher auf deren Gehalt im Sinne der „pietas austriaca“
untersuchten Lieder noch selbst in den unterschiedlichen Zusammenhängen religiösen Lebens, Den-
kens und Handelns gehört. Durch meinen Vater, Jahrgang 1903, der 50 Jahre alt war, als ich zur
Welt kam. Er war Eisenbahnersohn und später selbst Eisenbahner aus dem niederösterreichischen
Tullnerfeld, und seine Religiosität erwies sich gerade im Alltäglichen als tief verwurzelt in den zent-
ralen Ausdrucksformen der österreichischen Frömmigkeitstradition, welche sich der Wertigkeit und
Wirkkraft dieser Ausdrucksformen und der von ihnen beschworenen Zeichen sehr bewusst war. Ich
erlebte durch ihn diese Gesänge vor allem auch als spontane Möglichkeit, einem religiösen Empfinden
oder Gedankengang zu Hause je nach Bedarf, zumeist kreisend um Anliegen rund um die eigene Fa-
milie, musikalisch Ausdruck zu verleihen.
„Leise sinkt der Abend nieder“ ist in diesen zu betrachtenden Zusammenhängen ein Lied, welches
in seinem Wesensgehalt dem Phänomen der „pietas eucharistica“ zuzuordnen ist. In diesem Gesang
kommt die persönliche, innige Devotion eines glaubenden, eines betenden Menschen vor dem fleisch-
lich „still im Tabernakel“ anwesenden Jesus Christus zum Ausdruck.
Die ewige Lampe vor diesem Tabernakel, die im Liede erinnert wird, ist der leuchtende Hinweis
auf die Ewigkeit dieser Präsenz Gottes als Sohn unter den Menschen und damit die Hineinnahme des
Menschen in die göttliche Ewigkeit. Gerade durch diesen Gedanken an die Ewigkeit erhält die „pietas
eucharistica“ ihren letzten Sinn: Der Mensch erkennt in der Eucharistie die durch den gleichsam
materiellen Genuss des verwandelten Brotes realiter gegebene innige Verbundenheit seiner selbst
mit Gott – ungebrochen im hiesigen wie im dortigen Leben. Dass im Laufe des Liedgeschehens der
geistige Blick der Singenden von Jesus im Tabernakel sich hinwendet zu ihnen selbst und zu ihren
Lieben, das ist eine Folgerichtigkeit dieser eucharistischen Frömmigkeit. Sie bezieht alle mit ein in
die Gemeinschaftlichkeit mit Gott, in die Gemeinschaftlichkeit des unauslöschlichen Lebens. Das an
jedem Strophenende erklingende „Lieber Heiland, gute Nacht“ macht jenes Lied als Abendgebet eben-
so tauglich wie als Totenlied, gesungen am Abend des irdischen Lebens. Zudem: Die Eucharistie ist ja
auch die Wegzehrung fĂĽr die Pilgerschaft vom Diesseitigen ins Jenseitige. Und die Lieben, derer hier
gedacht wird, das sind neben den auf Erden Wallenden auch stets die lieben Verstorbenen.
Das Passionslied „Heil’ges Kreuz sei hoch verehret“ ist Ausdruck der „fiducia in crucem Christi“. Im
Zeichen des Kreuzes ist das hoffnungsvoll zu erfahren, was fĂĽr den glaubenden Menschen zur Reali-
tät werden soll: die Überwindung des Todes in geistiger und in leiblicher Hinsicht. So ist das Kreuz
WeXel oder Die Musik einer Landschaft
Das Geistliche Lied, Band 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- WeXel oder Die Musik einer Landschaft
- Untertitel
- Das Geistliche Lied
- Band
- 1
- Autoren
- Erika Sieder
- Walter Deutsch
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79584-1
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 648
- Schlagwörter
- Wechselgebiet, Geistliches Lied: Leichhüatlieder, bäuerliche Tradition der Totenwache, historische Tondokumente, Wörterbuch, Melodienincipits
- Kategorie
- Kunst und Kultur
Inhaltsverzeichnis
- AbkĂĽrzungen 10
- Zum vorliegenden Band 12
- Die Landschaft 18
- Der Totenbrauch 24
- 1. Die Totenwache 26
- 2. Das Begräbnis und das Totenmahl 33
- 3. Das Singen 38
- 4. Das Liedgut und seine Quellen 40
- 5. Die Liedgattungen 47
- Die Sammlung: Lei(ch)hüat- / Leichwåcht-Liadln – Lieder zur Totenwache 59
- Anmerkungen zur Edition der Lieder 60
- Johannes Leopold Mayer
- Zusammenfassung
- Register für das Wechselgebiet und die angrenzenden Regionen in Niederösterreich und in der Steiermark
- Allgemeines Register
- a) Ortsregister 601
- b) Personenregister 607
- Sachregister 613
- Register der Liedanfänge, Sammelorte und Tonaufzeichnungen 618
- Inhaltsverzeichnis und Begleittext zu den beiliegenden Tondokumenten 629
- Sängerinnen, Sänger und Vorbeter der Tonaufzeichnungen 630
- Inhaltsverzeichnis zu den beiliegenden CDs 632
- Autoren und Mitarbeiter 640