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Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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Sexuelle Emancipation Heute Montag […] welch ein Ausbruch der Mutter gegenüber. Das Triebhafte, zum Bewußtsein zu erweckende, Handeln der Mutter kann mich zur Raserei bringen.«1 Diese frühe Notiz über Anna Viertel zeigt, dass auch Berthold Vier- tel um 1900 von einer »natürlichen« Unterschiedlichkeit der Geschlechter aus- ging. Die Vorstellung von »polaren Geschlechtscharakteren« fand damals brei- ten gesellschaftlichen Konsens : Männern als »Individuen« wurde Kultur, Vernunft, Aktivität, Energie, (politische) Gewalt und damit der »öffentliche« Raum zugeschrieben ; Frauen als »Gattungswesen« wurde Natur, Emotionalität, Passivität, Schwäche und in diesem Sinn der »private«, häusliche Bereich zuge- ordnet. Diese »vernünftige«  – »naturgemäß wissenschaftlich« abgesicherte  – Ordnung der Geschlechterverhältnisse und eine auf dieser hierarchischen Ge- schlechterdifferenz neue Arbeitsteilung waren nicht nur »Inbegriff von Mo dernität«, sondern auch bürgerliches Distinktionsmerkmal.2 Vor allem nachdem sie ihr eigenes Geschäft aufgegeben hatte, passte sich Anna Viertel als »Hausfrau, Mutter und Gattin« zunehmend diesen Vorstellun- gen von bürgerlicher Weiblichkeit an. Berthold Viertel fühlte sich bis zu seinem 14. Lebensjahr seiner »stillen« Mutter eng verbunden. Er schätzte, dass sie Sinn für Kunst und Literatur hatte, mit ihm Bücher las und ebenso gern ins Burgthe- ater wie in den Wienerwald ging.3 Während er ihr im »Romantischen« und ei- ner gewissen Melancholie ähnlich zu sein meinte, erboste ihn, dass sie so sehr »festhalten, einschränken, sichern, bewahren« wollte.4 In der Pubertät nahm er seine einstige Bewunderung für ihre »kaiserliche« Schönheit zurück und über- trug sie auf sein Kindermädchen Marie, »wohl als Rache dafür, daß meine Mutter, gerade als mein Jünglingsalter begann, ästhetische Ansprüche an sie zu 1 BV, Tod der Lüge, 1. Tagebuchblatt am 5. Juli 1906, 69.3142/1, K28, A : Viertel, DLA ; vgl. auch BV, Recht behalten, in : Der Weg, 10.  März 1906, Nr. 24, 12–13 ; BV, o.T. [Das Meer], o.D., 35, K11, A : Viertel, DLA. 2 Bührmann, Kampf, 2004, 50–69 ; Hausen, Die Polarisierung der »Geschlechtscharaktere«, in : Conze (Hg.), Sozialgeschichte, 1976, 368–393. Maria Mesner wies darauf hin, dass die lebens- weltliche Durchsetzung des hegemonialen Geschlechtermodells immer soziale und ökonomische Grenzen hat  – in unbürgerlichen und teilweise auch kleinbürgerlichen Schichten waren Frauen oft gezwungenermaßen erwerbstätig und mit anderen Zuschreibungen konfrontiert (Mesner, Maria, Zäsuren und Bögen, Grenzen und Brüche, Zeit- und Geschlechtergeschichte, in : Dreidemy u.a. (Hg.), Bananen, Cola, Zeitgeschichte, 2015, 1003–1012). 3 BV, Die sieben Jahre sind um, in : Bolbecher/Kaiser (Hg.), Viertel, Cherub, 1990, 21–24. 4 Ibid., 23–24 ; BV, Österreichische Illusionen/Der Knabe Robert Fürth, o.D., o.S., NK12, A : Viertel, DLA.
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Berthold Viertel Eine Biografie der Wiener Moderne
Titel
Berthold Viertel
Untertitel
Eine Biografie der Wiener Moderne
Autor
Katharina Prager
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2018
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20832-7
Abmessungen
15.5 x 23.2 cm
Seiten
368
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Ein chronologischer Überblick 7
  2. Einleitend 19
  3. 1. BERTHOLD VIERTELS RÜCKKEHR IN DIE ÖSTERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
    1. Außerhalb Österreichs – Die Entstehung des autobiografischen Projekts 47
    2. Innerhalb Österreichs – Konfrontationen mit »österreichischen Illusionen« 75
  4. 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
    1. Moderne in Wien 99
    2. Monarchisches Gefühl 118
    3. Galizien 129
    4. Jüdisches Wien 139
    5. Katholische Dienstmädchen 150
    6. Deutsche Kultur 161
    7. Luegers Wien 173
    8. Mitschüler Hitler 184
    9. Jugendliche Kulturanarchisten 196
    10. Familie Adler 209
    11. Studium 228
    12. Sexuelle Emancipation 245
    13. Karl Kraus 268
    14. Theater 291
    15. Erster Weltkrieg 310
    16. Nachsatz 333
    17. Archivalien 336
    18. Dank 342
    19. Literaturverzeichnis 344
    20. Bildnachweis 358
    21. Personenregister 359
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