Seite - 291 - in Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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Theater
»Auch noch die jungen Menschen meiner Generation sind in Wien in eine
Vergötterung des Theaters hineingewachsen, die den Berlinern immer fremd
war«, bemerkte Berthold Viertel zurückblickend.1 Schon kleine Kinder erlebten
Theater als etwas gesellschaftlich Relevantes : Wenn »Mama« sich in einem
Haus wie dem der Viertels auf den Theaterbesuch vorbereitete, litt sie »an hef-
tiger Nervosität« und fuhr die Friseuse an, die für ihre repräsentative, »königli-
che« Erscheinung verantwortlich war. Es ging hier nämlich nicht nur ums Se-
hen, sondern wesentlich auch ums Gesehen-Werden : Der Knabe hätte es nicht
in Worte fassen können, aber er witterte es und trank es ein.2
Der regelmäßige Theaterbesuch war gerade für mittelständische und klein-
bürgerliche Schichten ein zunehmend wichtiges und prestigeträchtiges Freizeit-
vergnügen. Selbstverständlich war das Burgtheater, das sich selbst als »bedeu-
tendste Sprechbühne des deutschen Sprachraums« verstand, weiterhin der
Mittelpunkt des Theaterlebens. Es war zugleich gesellschaftliches Ereignis und
»heiliger Ort der Kunstreligion« für ein »Bildungsbürgertum, welches den Wert
der ästhetischen Bildung von der Aristokratie übernommen hatte«3. Aber auch
abseits der Hoftheater war die Palette des Angebots reichhaltig und zahlreiche
Privattheater – wie das Theater an der Wien, das Carltheater, das Deutsche
Volkstheater und das Theater in der Josefstadt – und Vorstadtbühnen unterhiel-
ten das Wiener Publikum, das um 1900 ein besonders Faible für die Operette
hatte.
Am 28. November 1893 eröffnete in der Wallgasse 18–20, nahe der Woh-
nung der Viertels, das Raimundtheater mit dem selten aufgeführten Zauberspiel
Die gefesselte Phantasie – und hier erlebte der achtjährige Berthold Viertel seine
erste Theatervorstellung.4 Möglicherweise war es dieses erste Theatererlebnis,
1 BV, Volksbühne 1911, in : Heidenreich (Hg.), Berthold Viertel Schriften, 1970, 232–233.
2 BV, [Der kleine Cherub], in : Bolbecher/Kaiser (Hg.), Viertel, Cherub, 1990, 25.
3 Hanisch, Die Wiener Ringstraße, in : Brix u.a. (Hg.), Memoria Austriae I, 2004, 75–104, 79 : Das
»neue« Burgtheater am Ring war 1890 durch seinen erweiterten Zuschauerraum und unter dem
innovativen Burgtheaterdirektor Max Burckhard neuen und erweiterten Publikumskreisen geöffnet
worden.
4 Hadamowsky, Franz, Wien. Theatergeschichte. Von den Anfängen bis zum Ende des Ersten Welt-
kriegs, München 1988, 733–743 ; BV, [Die gefesselte Phantasie], in : Bolbecher/Kaiser (Hg.), Viertel,
Cherub, 1990, 59. Es war vielleicht sogar die Eröffnungsvorstellung, die Viertel miterlebte, denn er
erinnerte sich, den Raimundschauspieler Adolf Fröden wie auch die Schauspielerin Agathe Barse-
scu erlebt zu haben (Theaterzettel Raimundtheater, 27. November 1893, E 137764, DS, WBR).
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Titel
- Berthold Viertel
- Untertitel
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Autor
- Katharina Prager
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 368
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Ein chronologischer Überblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RÜCKKEHR IN DIE ÖSTERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches Gefühl 118
- Galizien 129
- Jüdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- Mitschüler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359