Seite - 268 - in Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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Karl Kraus
Am 29. Mai 1905 fand im Trianon-Theater die österreichische Uraufführung
von Frank Wedekinds Skandalstück Die Büchse der Pandora statt und war – um
die Zensur zu umgehen – nur geladenen Gästen zugänglich : Der 31-jährige
Karl Kraus hatte die AuffĂĽhrung produziert. Er hielt einen einleitenden Vortrag
und trat an diesem Abend auch als Kungu Poti, »Negerprinz von Uahubee« auf :
Dass der Herausgeber der Fackel […] sich in dieser Gestalt – und zwar zum ersten-
male – öffentlich zeigte, war […] ein Ereignis von Bedeutung […]. Es blieb das ein-
zige Auftreten von Karl Kraus als Schauspieler, es war zugleich sein erstes Erscheinen
am Vortragspult, und fĂĽr viele Fackelleser schon deshalb aufregend, weil sie nun er-
fahren durften, wie der Mann eigentlich aussah, dessen Stil an Angriffswillen und
Angriffskraft alles bisher für möglich gehaltene überbot, dessen Witz den Sensibili-
tätspunkt aller öffentlichen Erscheinungen traf, der die in Wien ohnehin immer la-
tente Neugier des Publikums erregte, es aber gleichzeitig, die Anhängerschaft inbe-
griffen, in respektvoller, wenn nicht furchtsamer Distanz hielt.1
Berthold Viertel, Fackel-Leser seit der ersten Stunde, wurde nach diesem Ereig-
nis – wahrscheinlich durch Otto Soyka – Kraus im ehemaligen Café Europe in
der Operngasse auch erstmals persönlich vorgestellt : »Von da an war es mir
vergönnt, dreißig Jahre lang im nächsten Kreise, der Karl Kraus umgab, zu wei-
len […].«2 Tatsächlich vertiefte sich die Bekanntschaft erst nach 1908 zu einer
Freundschaft, davor hatte man aber immerhin »Umgang« miteinander und es ist
keine Übertreibung, diese Begegnung zu den »folgenreichsten« in Viertels Le-
ben zu zählen :3
Um 1909 – als die Fackel bereits »als eine der zwei, drei wichtigsten literari-
schen Zeitschriften der Welt« galt – begann Kraus den Wirkungskreis seiner
»Ein-Mann-Revolte gegen die Zeit und ihre Autoritäten«4 in den verschiedenen
Kronländern der Monarchie und in Deutschland auszudehnen, was einen zu-
nehmend hohen Aufwand an Organisation und Kommunikation erforderte.5 Er
1 BV, Erinnerung an Karl Kraus, in : Bolbecher/Kaiser (Hg.), Viertel, Cherub, 1990, 185–187.
2 Ibid., 188.
3 BV, o.T. [Notizen zu Karl Kraus], o.D., o.S., K18, A : Viertel, DLA.
4 Polgar, Alfred, Wie ich ihn sehe, in : Ginsberg (Hg.), Dichtungen und Dokumente, 1956, 397–400,
398.
5 Timms, Kraus, 1999, 227–228 und 283 ; vgl. Korrespondenz des Verlags Die Fackel, um 1910,
Ib 159.627–Ib 159.630, Karl Kraus Teilnachlass, HS, WBR ; Avery, George C. (Hg.), Feinde in
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Titel
- Berthold Viertel
- Untertitel
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Autor
- Katharina Prager
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 368
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Ein chronologischer Ăśberblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RĂśCKKEHR IN DIE Ă–STERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches GefĂĽhl 118
- Galizien 129
- JĂĽdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- MitschĂĽler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359