Seite - 310 - in Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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Erster Weltkrieg
Am 28. Juni 1914 – der Tag, an dem »Extraausgaben« die Nachricht von der
Ermordung des Thronfolgers Franz Ferdinand von Österreich-Este und seiner
Frau in Sarajewo brachten – wurde Berthold Viertel 29. Jahre alt. Sonst sensibel
für solche »Zufälle«, thematisierte er das Zusammenfallen seines Geburtstages
mit Gavrilo Princips Attentat, das zum Anlass für den Ersten Weltkrieg wurde,
nie. Er beschrieb auch nie, wie und unter welchen Umständen er von dem An-
schlag erfuhr. Wahrscheinlich war er damit beschäftigt, sich beruflich neu – am
besten endlich nach Deutschland – zu orientieren. Es war Ende Juni noch kei-
neswegs absehbar, dass es in wenigen Wochen zu einem Krieg kommen würde
und vor allem, welches Ausmaß dieser annehmen würde.1 Insofern gab es vor-
erst auch keinen Grund zur Aufregung, zumal der Thronfolger »keineswegs be-
liebt gewesen [war]«2.
Jedenfalls im Rückblick drängte es sich Berthold Viertel aber auf, das Atten-
tat mit dem Selbstmord des beliebten Kronprinzen Rudolf 26 Jahre zuvor zu
vergleichen, als kollektiv getrauert worden war. Rudolfs Tod 1889 und Franz
Ferdinands Tod 1914 sollten Anfangs- und Endpunkt des ersten Teils seiner
Trilogie Finis Austria bilden : »Das zweite Ereignis wird später als eine schick-
salsmächtige Konsequenz der ersten erscheinen : alsob, grob gesprochen, der
Weltkrieg schon im Jahre 1889 begonnen hätte.«3 Wie Rudolf gehörte Franz
Ferdinand als »moderne« Figur für ihn zur »zerstörenden Sohnesgeneration«,
1 Viertel wusste schon seit seiner Ausbildung zum Reserveoffizier im Jahr der Annexion von Bosnien-
Herzegowina, dass die österreichisch-ungarische Balkanpolitik immer wieder Krisen auslöste und
räumlich begrenzte militärische »Aktionen« jederzeit im Bereich des Möglichen lagen. Abseits
dieser hatten sich die Eliten der fünf europäischen Großmächte
– Deutschland, Frankreich, Groß-
britannien, Österreich-Ungarn und Russland – auf Kongressen und Konferenzen immer wieder
erfolgreich arrangiert (vgl. Zweig, Welt, 1992, 248–256 ; Leidinger, Hannes und Moritz, Verena,
Der Erste Weltkrieg, Wien 2011, 18–30 ; Münkler, Herfried, Der große Krieg. Die Welt 1914–1918,
Berlin, 43–59).
2 Fellner, Fritz und Corrodini, Doris A. (Hg.), Schicksalsjahre Österreichs. Die Erinnerungen und
Tagebücher Josef Redlichs, 1869–1936, Wien 2011, 610.
3 BV, Konvolut Autobiographie. Österreichische Illusionen (3 Hefte), o.D., o.S., K19, A : Viertel,
DLA. Im Weltkrieg sollten in Viertels autobiografischem Projekt »alle Linien der Darstellung«
zusammenlaufen (BV, Österreichische Illusionen/Der Knabe Robert Fürth, o.D., o.S., NK12, A :
Viertel, DLA) und das macht alle Materialien in diesem Zusammenhang zu besonders schwierigen
Quellen. Im originalen Kriegstagebuch und auch in den Feldpostbriefen konnte aus Angst vor Ent-
deckung Vieles nicht offen ausgesprochen werden. In späteren Überarbeitungsstufen wirkt bereits
autobiografische Sinngebung.
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Titel
- Berthold Viertel
- Untertitel
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Autor
- Katharina Prager
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 368
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Ein chronologischer Überblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RÜCKKEHR IN DIE ÖSTERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches Gefühl 118
- Galizien 129
- Jüdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- Mitschüler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359