Page - 70 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

70 Februar 1872 75 80 85 90 95 100 105 110 115 drastisch-komischen Effect verwendet, ihr Crescendowirbel leitet vortrefflich die fürchterlichen Rinforzatos ein, womit der edle Prinz im Verlaufe seiner Arie das Ohr der zuhörenden Prinzessin immer wieder erschreckt. Dieses und andere ihm analoge Stücke zeigen, wo Offenbachs origineller Zug und Werth liegt – in burles- ker musikalischer Komik, in der musikalischen Caricatur, einer Caricatur, die oft genug kaum etwas Besseres ist als eine tolle Uebertreibung, eine abschreckende Fratze oder als irgendeine Posse (z. B. irgendein curioser Fagott-Accent u. dgl.) anderwärts aber (vorab im „Fantasio“) auch in einer musikalischen Caricatur, die Geist, Witz und sogar trotzdem, daß sie Caricatur ist, Anmuth zeigt. In dieser Art komischer Production sind die Franzosen Meister (man erinnere sich z. B. an die Zeichnungen Grandville’s, an die bekannten Büsten von Dantan u. a. m.) und Offenbach hat es ihnen für die Musik abgelernt. Dieses entschiedene und wahrlich nicht eben ganz gering zu schätzende, vielmehr in solcher Weise noch gar nicht dagewesene Talent, wie es Offenbach von Hause aus mitbekommen und an der richtigsten Stelle, nämlich in Paris, ausgebildet, ließ ihn auch in der Wahl seiner Texte den Pfad mit richtiger Einsicht betreten, auf dem sich dieses sein Talent auf das glänzendste bethätigen kann. Im Vergleiche zu den tollen Figuren, die sich im „Blaubart“, in der „Herzogin von Gerolstein“, in der „Prinzessin von Trebizonde“ u. s. w. herumtreiben, ist Rossini’s „Doctor Bartolo“ ordentlich eine Respectsperson. Wir mögen in dieser tolllustigen Fratzenwelt, in diesem ausgelassenen Carneval des Geistes zwischen- durch noch so bedenklich den Kopf schütteln, wir können nicht umhin, uns auf das heiterste angeregt zu fühlen, und die Anklage, die wir erheben wollen, erstickt in dem unauslöschlichen Gelächter, in welches wir wider Willen ausbrechen. Diese komischen Singspiele haben als Kunstwerke und in der Geschichte der Tonkunst denn am Ende doch auch ihre Bedeutung, womit nicht etwa gesagt sein soll, es sei classische Musik bleibenden Werthes. Sie sind doch etwas Besseres als bloße Frivolität, bloßes Amusement für eine gedankenlose Menge – wie manche sittlich entrüstete musikalisch-germanische Gemüther behaupten wollen. Man wird Offenbach den Namen eines Künstlers nicht vorenthalten dürfen. Er ist ein Origi- nal und wenn nicht eben in Allem löblich und mustergültig, so doch eine in ihrer Art merkwürdige Erscheinung. Vor seinen Nachahmern aber, die schon da und dort aufzutauchen beginnen, bewahre uns der Himmel. Sie haben sich nicht so- wohl die Art als die Unarten ihres Vorbildes eigen gemacht. Wir haben aber nicht Lust, die edle Kunst der Musik in grenzenlose Trivialität, in völlige Verflachung und wüste Liederlichkeit sich verlaufen zu sehen. Offenbach hat sich bei der eigenthümlichen Richtung seines Talentes auf dem Gebiete der Parodie mit Vorliebe und, wenn wir seine Erfolge beim Publicum re- gistriren, mit Glück bewegt – natürlich immer im Einverständnisse mit seinen Textdichtern schaffend. Die antike Götterwelt (Orpheus), die Heroenwelt Homers (Helena), die arkadische Schäferwelt (Daphnis und Chloe), die mittelalterliche Romantik (Genofeva von Brabant), das Volksmährchen (Blaubart), sogar die spe- cifisch venezianische Romantik (Seufzerbrücke), alle mußten sichs gefallen lassen, vor den Caricaturspiegel geführt, uns als komisch verzerrte Fratzen entgegenzu- grinsen. Die Sache ist nicht so unbedenklich und unschuldig, wie sie aussieht. Alle