Page - 79 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

79 März 1872 5 10 15 20 25 30 35 40 45 mächtigste aller Mozart’schen Symphonien, das schönste aller Beethoven’schen Klavierconcerte, gespielt von Rubinstein, eine Beethoven’sche Novität oder Reliquie u. s. w. – das ist freilich ein Programm, das etwas sagen will. Rubinstein excellirte als Pianist wie als Director, in letzterer Beziehung macht ihm besonders die Art, wie die gewaltige C-dur-Symphonie Mozarts (die leider ihren einfältigen Londoner Spitznamen „Jupiter“ nicht mehr los wird) executirt wurde, alle Ehre. Der Menuet konnte frappiren; man hört ihn insgemein noch einmal so schnell, aber Rubinstein hat mit seinem „molto moderato“ ganz recht. Nur dann kommt das pompös Prächtige, das vornehm Anmuthige dieses Satzes zur vollen Geltung (das Trio läuft bei der gewohnt raschen Bewegung selbst einige Gefahr trivial zu werden), – es war uns bei diesem Menuet, als bewegten wir uns in einem festlichen Saal voll Ritter und Damen; Seidenschleppen rauschen, Federn wehen, Diaman- ten blitzen, noch schöner aber blitzen die Augen der Schönen. Das fugirte Final bleibt ein Stück, an dem wir herumtasten mögen; hinanreichen werden wir schwer- lich. Schon Schumann meinte einmal, „darüber sei es nun am besten lieber gar nichts zu sagen“; – dasselbe Dictum möchte ich auf Rubinsteins Vortrag des Beet- hoven’schen Concertes in G anwenden; doch, wohlgemerkt, mit Ausschluß der Rubinstein’schen Cadenz im ersten Satze, welche, obschon aus den Beetho- ven’schen Themen gebildet und an sich geistvoll, doch etwas Unbeethoven’sches hat, und dazu etwas Rhapsodisches, das zu dem Gang und Periodenbau des Beet- hoven’schen Textes nicht recht passen will. Für das Rondo wäre es vielleicht gut, das schwindelnde Presto um einen Grad (nicht um mehr!) zu mäßigen. Aber der Dialog zwischen Orchester und Piano im kurzen Andante! Wer diese klagenden Accorde, mit denen das Piano dem finsteren Boten antwortet, bis sich der unheim- liche Gast endlich, wie in dunkler Nacht verschwindend, zurückzieht, – wer diese überirdischen Accente so vorträgt wie Rubinstein, der steht auf einer Höhe, über die ein Anderer mindestens nicht hinauskann. Rubinstein, dieser durch und durch gesunde, mannhafte, starke Meister, hat darin gezeigt, wie hinwiederum auch die zarteste Empfindung in ihm nachzutönen vermag. Rubinstein ist ein Liebling des hiesigen Publicums, der Beifall war enthusiastisch. Das Fragment eines von Beet- hoven unvollendet gelassenen Concertes für Violine, dessen Autograph Herr Joseph Hellmesberger im Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde auffand – ein Stück, von dessen bloßer Existenz bisher niemand etwas ahnte – bot dem tüchti- gen Künstler Gelegenheit, durch Vollendung des im Manuscript noch Fehlenden der Welt ein neues Geigenconcert zu bieten, und ein Beethoven’sches obendrein. Es muß nach seinem Inhalt, soweit er Beethoven gehört, etwa in den Jahren 1795 bis 1800 entstanden sein – etwa gleichzeitig mit dem Klavierconcert in B-dur, dem Aschenbrödel unter den Beethoven’schen Klavierconcerten. Die bekannte Löwen- klaue spüren wir darin kaum irgendwo; der Meister selbst scheint nicht befriedigt gewesen zu sein und hat das Stück unvollendet weggeworfen. Was aber ein Beet- hoven wegwirft, haben wir anderen noch immer Ursache respectvoll aufzuheben. Und so hat sich Hellmesberger mit seiner tüchtigen Arbeit, die ihm jede mögliche Ehre macht, wahren Dank verdient. Er ist auf das von Beethoven mehr oder minder Angedeutete mit großem Verständniß eingegangen und Flickwerke oder Löthungen wird ihm schwerlich jemand weisen können. Andererseits darf man