Page - 143 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

143 April 1872 45 50 55 60 allerlustigste Genre. Somit ist und bleibt die liebenswürdige, nachtwandelnde Amina in ihrer Art einzig und wir heißen sie nach langer Trennung bestens will- kommen. Die Amina der Signora Adelina Patti bot in der meisterhaften dramatischen Darstellung wieder ein ganz neues Charakterbild, völlig verschieden von dem, was wir von der Künstlerin früher sahen. Von dem Gesangsvortrage ist es unnöthig zu sprechen. Signora Patti brachte diesmal ihr unvergleichliches Staccato besonders oft und mit besonders schöner Wirkung zur Geltung – in der Nachtwandelscene des zweiten Actes erregten ganz wundersame, verhauchende Pianissimo-Töne das Erstaunen der Hörer. Hinreißend war die Weise, wie Adelina Patti die letzte Arie sang, dieser Ausbruch von Jubel in den schönsten melodischen Formen und Wendungen war geradezu überwältigend. Die Sängerin erhielt im Laufe des Abends, wer zählt wie viele Blumenbouquets, Kränze und endlich wurde via Orchester gar ein großer, prachtvoller Blumenkorb auf die Bühne geschafft. Daß Signor Corsi neben der unvergleichlichen Patti als Elvino mit so glänzenden Ehren bestand, ist für ihn gewiß das höchste Lob. Er hat sich entschieden in die Gunst des Publicums hineingesungen. Recht gut war Signor Moriami als Graf – die Anderen (Signora Sanz, Maccagno u. s. w.) wirkten in ihren untergeordneten Partien sorgsam mit. Die Chöre und das Orchester ließen diesmal stellenweise viel zu wünschen übrig. Rezensierte Veranstaltung Bellini, La sonnambula, 20. April 1872, Theater an der Wien Erläuterungen 1 larmoyanten] weinerlichen. ◼ 1 „Linda“ und dem lustigen „Barbier“] → Nrn.  25, 26, 27. ◼ 3 „es fließe … Honig“.] Bibel, 4  Mose  13,27. ◼ 8 „Romeo“] I Capuleti e i Montecchi. ◼ 11 Lind] Jenny Lind (1820–1887), schwed. Sopran; sie sang La sonnambula während ihres Engagements am Theater an der Wien 1846–1847. ◼ 14 Status phtisicus] lat. „Tuberkulose“. ◼ 15f. Status apo- plecticus] lat. „Schlaganfall“. ◼ 18 wie schon Goethe bemerkt hat] vgl. Italienische Reise, in: Goethe, MA, Bd.  15, S.  199. ◼ 27f. „d’un pensiero non son rea“] „D’un pensiero e d’un accento / Rea non son nè il fui giammai.“ („Nie ließ ich mir einen Gedanken, ein Wort zu Schulden kom- men.“) – Aminas Worte in I,11. ◼ 29 „m’abbraccia“] „Umarme mich.“ – Aminas Worte in II,10. ◼ 35f. des schwachen Marliani schwache „Enrichetta Batenfeld“] Die hier gemeinte Oper La festa della rosa ossia Enrichetta di Baienfeld stammt nicht von Marco Aurelio Marliani (1805– 1849), sondern von Pietro Antonio Coppola (1793–1877). Sie wurde am 29.  Juni 1836 an der Wr. Hofoper uraufgeführt. ◼ 40 Ausonien] hellenische Bezeichnung für Italien. ◼ 41 il Taice (!) balleremo.] it. „Wir tanzen Taice.“ Taice – ein walzerähnlicher Tanz, der auch im Libretto von Rossinis La Cenerentola erwähnt wird. Ambros stützt sich offenbar auf eine Kritik in der Wiener Theaterzeitung (1836), Nr. 132, 2. Juli, in der der Ausdruck „Taice“ mit einem Ausrufezeichen versehen und der Satz als „wir tanzen dann einen ‚Deutschen‘“ übersetzt wurde.