Page - 152 - in August Wilhelm Ambros - Musikaufsätze und Rezessionen 1872-1876

152 April 1872 45 50 55 60 65 70 75 80 85 hab’ ein Blümlein funden“ von Wilhelm Heiser (op.  121!) ist aus allen möglichen musikalischen Abfällen und Banalphrasen zusammengeflickt, aber diese Armuth giebt sich wenigstens für nicht mehr, als sie ist, und macht weniger Ansprüche als des Herausgebers Franz Abt Werk 418, Nr.  1: „Du wirst doch mein gedenken“ – mit welchem der Componist die hausherrliche Bescheidenheit und Rücksichtnah- me auf seine Mitarbeiter in der That zu weit treibt. Ob nach 417 Werken dieses vierhundertundachtzehnte ein dringendes und unabweisbares Bedürfniß war, blei- be unentschieden, aber so viel ist sicher, daß Deutschland, das mit den Lieder- schätzen Franz Schuberts, Mendelssohns, Schumanns, Robert Franz’ u. s. w. kaum fertig wird, nichts dagegen hätte, wenn die Muse des Herrn Abt irgendwo ihr otium cum dignitate genöße. Das Abt’sche Lied findet im Klavierhefte ein würdiges Gegenstück an der „Cypresse“ von Albert Jungmann, der es auch schon zu der imponirenden Zahl von 308 „Werken“ gebracht hat. Warum das Ding gerade eine Cypresse ist, wird der Componist vielleicht wissen, eine Cypresse mag es sein, gute Musik ist es nicht. Hell mußte ich auflachen, als mir Takt 17, 18 und 25, 26 Meyer- beers weltberühmtes Motiv „Gnade, Gnade“ so ganz ohne alle Winkelzüge ent- gegentönte. Recht nett ist D.  Krugs „Impromptu“, – ein Nachtwächter aber, der mit Spieß und brennender Laterne um eilf Uhr Vormittags durch die Straßen zöge, würde kaum mehr Verwunderung erregen, als daß uns gleich bei Nummer eins Franz Xaver Chwatal begegnet. „Lebt er denn noch?“ möchte man rufen. Ja, er lebt und, was schlimmer, er componirt. Er hat romantisch-sentimentale An- wandlungen. „Abelard und Heloise“ mit vorangestelltem poetischen Motto aus Bürger! Heloise drückt ihre Liebe hier in Form eines steirischen Ländlers aus, wenn aber Herr Franz Xaver Chwatal als die zwei ersten Takte eines der herrlichs- ten Beethoven’schen Motive – entlehnt (siehe die letzte E-dur-Sonate), so hört der Spaß auf und man möchte ihn bitten, die Gedanken unserer großen Classiker nicht durch seine Trivialitäten zu entweihen. Den Heften liegt ein gedrucktes Blatt bei – lobpreisende Recensionen der „musikalischen Welt“ aus verschiedenen Zeitungen. Eine davon beginnt mit den Worten: „noch nie wurde dem deutschen Publicum eine so praktische Gelegenheit geboten, sich sein Studienmaterial (!) zweckmäßiger und billiger zu beschaffen, als durch diese neue und großartige (!) Publication“ u. s. w. In der That, die fahrenden Zahnärzte der Riva de’ Schiavoni in Venedig können hier noch etwas lernen und Barnum findet seinen Meister. Deutschland liegt aber zum Glück noch nicht in America. Bei Adolf Bösendorfer in Wien sind kürzlich sechs Lieder (in einzelnen Heften) von Rudolf Lauterer erschienen, die er dem k. k. Hofschauspieler Herrn Lewinsky (mit dem der Componist, so viel ich weiß, verwandt oder verschwägert ist) wid- met. Durch eine gewisse Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit erwecken diese einfachen Compositionen gleich beim ersten Einblick eine für sie günstige Mei- nung, sie sind dem Componisten wirklich „vom Herzen gegangen“ und wie wenig sie auch höhere Ansprüche machen, gut gesungen werden sie ganz angenehm wir- ken. Er stellt auch an die Singstimme und an den begleitenden Pianisten ganz bescheidene Anforderungen. Recht zart und innig empfunden ist insbesondere die „Christnacht“. Geht man die Hefte im Einzelnen durch, so findet man allerdings